Erbaulich: Premiere IL PRIMO OMICIDIO von Alessandro Scarlatti an der Staatsoper

Barockoper? Muss es sein?

Zur Eröffnung der Barocktage der Staatsoper Unter den Linden ein – nein, der Mord: IL PRIMO OMICIDIO, das erste Kapitalverbrechen der Weltgeschichte, ist nämlich die Bluttat von Kain an Abel. In dem Oratorium von Alessandro Scarlatti (dem Vater von Domenico S., aber das nur am Rande) dauert die Tat nur einen kurzen Moment: Der titelgebende Mord ist eher ein Zustand. Meditativ, wenig zu sehen, sehr einfach, demütig – solche Vokabeln, mit denen Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent René Jacobs wedeln, lassen homizidierende Langeweile befürchten. Und wie man hernach so aufschnappt, klaffen die Eindrücke weit auseinander. Für den Konzertgänger aber funktionierts: wunderschön, geschmackvoll, klug, bewegend.

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17.1.2017 – Frostheiß: Purcells „King Arthur“ mit René Jacobs und Akamus

boys_king_arthur_-_n-_c-_wyeth_-_title_pageHenry Purcell kann man an den Füßen in die Luft heben und rütteln, es fällt lauter Gold und Silber aus seinen Taschen.

So macht es René Jacobs, der zwischen und auch unter die Sprechszenen in Purcells Semi-Oper King Arthur, or The British Worthy (1691) weitere Musik dieses Komponisten legt: kunstvolle, strenge Gambenfantasien, gemessen schreitende Pavanen – ein Stück schöner als das andere.

Jedes Jahr übernehmen Jacobs und die Akademie für Alte Musik die Staatsoper, während die Hausherren (ab Donnerstag neunmal in New York) auf Tournee gehen. Weiterlesen

15.1.2016 – Horchend: Audi-Jugendchor und Akamus feiern die h-Moll-Messe

Endlich mal frohe Botschaft von einem deutschen Autobauer! Die Audi-Jugendchorakademie führt, gemeinsam mit hochkarätigen Solisten und der Akademie für Alte Musik, Bachs h-Moll-Messe auf, zuerst in Berlin, dann in München, am 20. März bei den Thüringer Bachwochen in Weimar. Wenn sich 80 Nachwuchsmusiker und ehrgeizige Laien, von der Gesangsstudentin bis zum Jungingenieur, an ein solches Monument der Musikgeschichte wagen, mag der eine oder andere im Auditorium sich fragen, ob alles gutgehen wird. Aber in der voll besetzten Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg wird schnell klar, dass solch beckmesserischer Argwohn

1. eine unangemessene Haltung ist, wenn man dem Vollzug des grössten musikalischen Kunstwerks aller Völker und Zeiten (H.G. Nägeli, 1818) beiwohnt, und

2. der Chor wirklich gut ist, nicht nur wegen seiner wunderbar jungen Stimmen. Der Chor klingt, bis ins 8stimmige Osanna, hervorragend durchstrukturiert und austariert.

Eine Kirche, selbst die Gethsemanekirche, ist kein Konzertsaal, aber einem gewissen akustischen Minus steht hier ein großes spirituelles Plus gegenüber, auch wenn man etwas protestantisch sitzt und die Apsis mit Bauplanen verhängt ist. Doch das schwebende und anschwellende Qui tollis des Gloria ist nicht nur klanglich ein Erlebnis. Das Crucifixus geht durch Mark und Bein, und wenn das Sanctus in Triolen zum Himmel wogt, steigt der Blick des Hörers sehnsüchtig ins Sterngewölbe des Kirchenschiffs.

Den Chor ergänzen fünf sehr gute Solisten, unter denen der Countertenor Benno Schachtner noch einmal herausragt, der ätherische Pianissimo-Schluss des Agnus Dei scheint nicht von dieser Welt. Und der vom Chorleiter Martin Steidler dirigierten Akademie für Alte Musik zuzuhören, ist erwartungsgemäß eine Freude, auch wenn man nicht alles hört: Das Horn und die Fagotte in der geradezu bizarr instrumentalisierten Arie Quoniam tu solus sanctus (gesungen vom sehr beweglichen Bass Sebastian Noack) verhallen im weiten Raum, so dass man eher ein allgemeines Brummen hört. Im Herkulessaal in München wird das anders sein. Die höheren Instrumente, etwa die warmen Traversflöten und Oboen, klingen in der Kirche viel besser durch, es ist eine Freude, jedem einzelnen dieser erstrangigen Instrumentalisten zuzuhören. Die historischen schlaksigen D-Dur-Trompeten strahlen heller und jubelnder als jedes moderne Instrument. Und der Geigenton des Konzertmeisters, in der Sopran-Arie Laudamus te ebenso wie im Agnus Dei, wecken in der Frau des Konzertgängers den innigen Wunsch, Bernhard Forck möge einmal als Solist eines ihrer Lieblingswerke vortragen, Biber, nicht Justin, sondern Heinrich Ignaz Franz, die Rosenkranzsonaten.

Wenn zwei Stunden auf einer harten Holzbank, dicht an dicht und trotzdem fröstelnd, wie im Fluge vergehen, muss es ein gutes Konzert gewesen sein.

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