Henry Purcell kann man an den Füßen in die Luft heben und rütteln, es fällt lauter Gold und Silber aus seinen Taschen.
So macht es René Jacobs, der zwischen und auch unter die Sprechszenen in Purcells Semi-Oper King Arthur, or The British Worthy (1691) weitere Musik dieses Komponisten legt: kunstvolle, strenge Gambenfantasien, gemessen schreitende Pavanen – ein Stück schöner als das andere.
Jedes Jahr übernehmen Jacobs und die Akademie für Alte Musik die Staatsoper, während die Hausherren (ab Donnerstag neunmal in New York) auf Tournee gehen. Dieses Jahr zum letzten Mal im provisorischen Haus, bevor die Staatsoper unter die Linden zurückkehrt. Langsam stellt sich beim Konzertgänger Abschiedsweh vom gar nicht so üblen Schillertheater ein. Nicht nur weil es stylish ist. Rhetorisch profilierter Barockmusik kommt die Sprechtheater-Akustik des Schillertheaters ebenso zugute wie den langen Dialogen von King Arthur. Was bei Wagner ja nicht immer der Fall ist.
Trotz all der Fülle an musikalischen Schönheiten: Der Knaller schlechthin, der Moment, in dem jedem Hörer das Herz stehenbleibt, ist dennoch die berühmte Frost-Arie. Hier in der Version des wohl bekanntesten ehemaligen Platzanweisers der Deutschen Oper, begleitet von der Akademie für New-Wave-Musik:
Wer streng analytisch hört, wird feststellen, dass sich der interpretatorische Ansatz von Johannes Weisser und der Akademie für Alte Musik unter René Jacobs von obiger Fassung in gewissen Details unterscheidet – nicht jedoch in der Intensität. Bevor Weissers voluminös bebender Bass einsetzt, macht das präzise Bibbern der klar eingegrenzten Streicherviertel allein schon zittern. Es setzt der Konzision und Luzidität (um diese beiden Lieblingsadjektive der Musikkritik einmal substantivisch zu benutzen) der Akademie für Alte Musik die Eiszapfenkrone auf: akrobatische, heroische, auch schröckliche Trompeten, eine anmutige Flöte (Saskia Fikentscher), ein im Eilen und Schwimmen präzises Fagott (Christian Beuse), britrockende Bässe. Insgesamt gar kein frostiger Sound, sondern unter Jacobs unaufgeregter, genauer Leitung warm bis heiß, satter und handfester als etwa in der (ebenso schönen) Aufnahme von Les Arts Florissants.
Kurz: Ein Fest. Denn bei aller himmlischen Schönheit geht es musikalisch handfest zu, ein Ohrwurm nach dem anderen, jede Menge Tänze, viel 3/4-Takt, das Knie des Konzertgängers kommt aus dem Mitwippen nicht heraus.
Das Handfeste, Derbe, Wirtshausige kann unter den Sängern der erwähnte Bass Johannes Weisser besonders gut, wie sich in einem Song im Schlussakt zeigt. Aber nicht nur Pub und Cold Genius: Weisser hält mit nicht weniger als sieben Rollen den Rekord. Insgesamt 33 Rollen werden von sieben Sängern interpretiert, die alle Herz und Ohr erfreuen, wie auch der bestens aufgelegte Chor.
Wenn man jemanden hervorheben müsste, dann wohl Robin Johannsen mit ihrem klaren, stilsicheren, exakt geführten Sopran in sechs Rollen. Aber das wäre slightly unfair gegenüber der auch darstellerisch umwerfenden Anett Fritsch (sechs Rollen, darunter ein moralischer Luftgeist und ein sinnlicher Cupido), dem schönen Countertenor Benno Schachtner (nur drei Rollen, aber darunter ein herrliches Liebesduett mit Johannsen) und den guten Tenören Mark Milhofer (vier) und Stephan Rügamer (vier, ein prima idyllischer Schäfer). Auch das Doppel aus dem bei dieser zweiten Aufführung erkälteten, darum nur darstellenden Arttu Kataja und dem eingesprungenen Choristen Artur Grywatzik zieht sich respektabel aus der Affäre. Hübsch übrigens, dass beide Arthur heißen, mehr oder weniger.
Und worum geht’s eigentlich in King Arthur?
Großer barocker Ringelpiez aus britischem Gründungsmythos, Shakespeare-Vaudeville, Artus-Sage, Merlin-Zaubereien, Krieg mit heidnischen Sachsen, Frau zwischen zwei Männern. Die Hauptfiguren singen gar nicht, sondern sprechen nur. Sehr schön im Text von John Dryden, der kein Niemand war: Wie die blinde Emmeline (Meike Droste) ihr Augenlicht wiedergewinnt, kurz Mond und Sterne bewundert und dann – sich selbst, an sich selbst kann sie sich nicht sattsehen. Im Spiegel. In dem dann schließlich Arthur (Michael Rotschopf) erscheint, den sie bisher vor allem aufgrund seiner faltenlosen Hände liebte.
Man behält halbwegs den Überblick, und das nicht obwohl, sondern weil die Regisseure Sven-Eric Bechtolf (der mächtigste Mann der Theaterwelt?) und Julian Crouch in ihrer Inszenierung noch eine zweite Ebene draufgesattelt haben: Ein kleiner Jungen namens Arthur (Bruno Vinogradov) hat seinen Vater, einen britischen Kampfpiloten, im Zweiten Weltkrieg verloren, nun bekommt er vom Veteran-Opi (Hans-Michael Rehberg, zugleich Merlin) die Artus-Märchen vorgelesen. Der Junge begibt sich hinein in diese Welt – und wird wohl auch darin umkommen. So wie es einem hier musikalisch ergeht: dass einem der Cold Frost in den Knochen stecken bleibt, auch wenn die Liebe ihn vertreibt und die Musik tanzt, jubelt, steppt – genau so ergeht es einem mit dem Schrecken, welcher Abenteuern und Heldentum der kindlichen Fantasie innewohnt. Und obwohl man den schockierenden Schluss kaum mehr los wird, bringt die Regie das Kunststück fertig, dass das Konzept der Rahmenhandlung das quirlige Spektakel der Märchenwelt nicht überlagert. Eine bewundernswert geschmeidige Verbindung der Ebenen.
Im fantastischen Bühnenbild wimmelt es von zauberhaften, saukomischen, saugruseligen Einfällen: Riesenpuppen, Menschenmarionetten im Duell der Könige, fiese Ringelpenisse. Eine Mischung aus Sommernachtstraum und Ritter der Kokosnuss. Einmal sitzt der abscheulich schmutzige Geist Grimbald (Tom Radisch, famos) gar wie Bob aus Twin Peaks am Kinderbett.
Faktencheck des Konzertgängers bestätigt: Aufführung hält, was Trailer verspricht.
Noch dreimal am 19., 21. und 22. Januar. Leider alles ausverkauft, aber meist klappt es ja trotzdem an der Abendkasse oder vor der Tür. Oder man klettert durchs Klofenster ins Haus.
Außerdem Live-Stream am Samstag.
Ansonsten: Noch knapp sechs Monate für einen Abschiedsbesuch (oder mehrere) im Schillertheater. Die Akademie für Alte Musik pur gibt es wieder am 5. März im Konzerthaus.
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Fand ich auch. Eine sehr beachtenswerte Inszenierung. Wie bei gelungenen Neuproduktionen stört das wenige, das einen dann doch die Stirn runzeln lässt, überhaupt nicht – mir waren die 1945-Anspielungen bühnenbildnerisch zu dominant. Aber dass sie da waren, macht einen Teil des schönen Regiekonzepts aus. Nach hinten raus war es mir 10, 15 Minuten zu lang.
Das letzte stimmt wohl. Ich habe am Ende ziemlich oft gedacht: Jetzt ist es aber zu Ende, oder? Aber ist dann halt wie eine Zugabe.
Ein riesengroßes Danke, ohne Sie hätte ich nichts vom Life-Stream mitbekommen. Es war absolut hinreißend. Wohnte ich in Berlin und hätte die Lage des Klofensters gekannt, wäre ich arg in Versuchung geraten….
Das freut mich! Das Klofenster ist leicht zu finden, einfach von der Schillerstraße aus oder über den Hof der benachbarten Polizeiwache. Die Berliner Beamten sind bürgernah und machen ggf gern Räuberleiter, denke ich.
So schön die Beschreibung, man kann die Aufführung durch diese fast miterleben.
Vielen Dank! Das freut mich sehr.
muss ja ein tolles Erlebnis für Sie gewesen sein. Für mich wäre das überhaupt nichts, diese Musik lässt mich völlig kalt und geht mir auf den „Keks“. Ja ja ich weiss, bin ein Banause :-))
Doch kein Banause! Aber vocephil, wie Sie doch sind, entgeht Ihnen ohne Barock eine ganze Welt, wirklich. 😉
Ich habs ein paar Mal versucht, konnte aber nichts mit anfangen. Möchte mich auch dem anschliessen, was Andrea… schrieb, fand ich auch genauso
Danke. Ja, es gibt auch die Weisheit der Beschränkung (nicht zu verwechseln mit Beschränktheit!).
:-)))), da haben wir woanders schon genug von