Dies irae for future am Freitagabend: Dass das Orchester des Wandels sich an die aktuellen Schülerproteste angehängt hätte, kann man allerdings beim schlimmsten Willen nicht behaupten – seit 2009 gibt es diese Initiative der Berliner Staatskapelle schon. Vorbildlich konkret ist die Arbeit ihrer Stiftung NaturTon, etwa wenn sie mit dem Verein Eben!Holz das nachhaltige Wirtschaften im Instrumentenbau fördert. Die Einnahmen des 8. Klimakonzerts nun kommen der Renaturierung eines Auenwaldes in Moldawien zugute – von dort stammt Patricia Kopatchinskaja, geigende Stargästin des Konzerts im e-werk, das auch rein musikalisch ansprechend bis produktiv quälend gerät.
Um das Leitmotiv des Dies Irae rankt sich das wild ineinander wuchende Programm, in dem beklemmend ausgekargter Harfen-Tamtam-Klang von Giacinto Scelsi auf ein barockes Crucifixus von Antonio Lotti trifft, welches zehn Sänger und Sängerinnen des Staatsopernchors, im Publikum verteilt, anstimmen. Vor einer lodernden Videoprojektion (Lani Tran-Duc/Lillevan) hören wir Jimi Hendrix‘ zornige E-Gitarren-Version des Star-Spangled-Banner aus der Zeit des weltenbrennenden Vietnam. Dieser Krieg steht auch im Hintergrund von George Crumbs 1970 entstandenen Black Angels für Streichquartett, die hier so wüst wie sinnig mit Heinrich Ignaz Franz Bibers Streicher-Battalia von 1673 verquirlt werden. Strings im Kriegszustand. Bibers Schlachtenmusik stampft militant und lamentiert aufs Erbärmlichste (wie unangemessen friedfertig klang dagegen einst die Biber-Battalia-Darbietung des pazifistischen Jordi Savall!).
Dieser String Riot ist doch ein angemessenes klassisches Gegenstück zum Brass Riot, der neuen Lieblingsband des Konzertgängersohns, seit er regelmäßig zu den Berliner Fridays for Future geht:
Riot bis zum Bersten schließlich bei Galina Ustwolskaya. Neben dem ersten Satz von Michael Herschs packendem Violinkonzert (2015/17) ist deren Komposition Nr. 2 „Dies Irae“ von 1972 der, schwer erträgliche, Höhepunkt des Abends. Kopatchinskaja schlägt mit zwei roten Hämmern auf eine Art schwarzen Sarg, während Christoph Grund unterarmlange Cluster in den Steinway kantet und acht Kontrabässe die Wände des e-werks wackeln lassen wie in den besten Tagen des Gebäudes (die Jüngsten unter den Staatskapellen-Abonnenten werden sich erinnern!). Sehr laut ist das und scheint nie aufzuhören, äußerst unangenehm anzuhören, ja schmerzhaft. Zehn Meter über der hämmernden Kopatchinskaja hängt dabei ein großer rostiger Haken an der Decke des Raums.
Schließlich der a cappella vorgetragene gregorianische Hymnus des Dies Irae, überlagert oder untertunnelt von etwa einem dutzend scheinbar durcheinander tickender Metronome – einst eine kompositorische Idee von Ligeti, hier sowas wie die Mälzel-Reiter der Apokalypse. Die Apokalypse ist jetzt, mitten in unserer Behaglichkeit. Die Kinder machen uns freundlich drauf aufmerksam, jeden Freitag.