Sektenbeleuchtend

Zwei Orchesterkonzerte eröffnen das Ultraschall-Festival

Eine Sache für „Sekten“: So wurden Festivals für Gegenwartsmusik kürzlich von Jelena Firssowa genannt, der aktuellen Komponistin in Residence des Rundfunk-Sinfonieorchesters. Sie habe ihre Werke lieber in Gesellschaft von Berlioz und Tschaikowsky! Das sagte Firssowa, kurz bevor ihr Garten der Träume vom RSB (auch adäquat) gemeinsam mit Schumann und Schostakowitsch gespielt wurde. Freilich, welcher lebende Komponist wäre nicht lieber gemeinsam mit Beethoven und Brahms unterwegs statt mit, sagen wir, Klangzupfler Kunz und Plingponistin Musterfrau?

(Neue-Musik-Festival, wie seine Verächter es sehen)

Natürlich ging es Firssowa dabei nicht um Statusfragen, sondern eher um Schärfung des Hörens. Geballte Gegenwartsklänge können ebenso abstumpfend wirken wie das ewige Vorsichhinbrüten im Musikmuseum: Man bleibt unter sich. Aber all solche Differenzierungen mal ignoriert, kann man ganz simpel feststellen: Im Konzert, mit dem das Deutsche Symphonie-Orchester am Mittwoch im Haus des Rundfunks das Neue-Musik-Festival Ultraschall Berlin 2022 eröffnete, erklangen drei Werke, die auch im Rahmen großer klassischer Sinfoniekonzerte in der Philharmonie belle figure machen würden. Und das ist nicht hämisch gemeint.

Dieter Ammanns gut viertelstündiges glut ist ein ideal einladender Start ins Zeitgenossentum, ein üppiges Klangereignis, wie man es sich reicher kaum vorstellen kann. Auch wenn es schwellt und flackert, ist es immer spürbar rhythmisiert, sodass im Klangstrudel jederzeit der Fuß mitwippt.

Dankbar sei das zu dirigieren, sagt der so enthusiastische wie kompetente Dirigent Jonathan Stockhammer, spürbar ein Ammann-Fan. Die Umbau-Pausen werden bei Ultraschall ja gern für Gespräche genutzt, die das Sektiererische spürbar zu meiden versuchen, dabei aber nicht immer das Absaufen im Seichten zu umschiffen wissen. Gleichwohl, es wird ja live im Radio übertragen, da darf man Publikum draußen am Gerät nicht durch Fachgeblubber verscheuchen. Im Großen Sendesaal entstehen durch die rundfunkende Parallelaktion wiederum lustige Effekte, etwa wenn zwecks genauem Konzertbeginn-Timing noch die letzten Sekunden der Radio-Nachrichten eingespielt werden. Die Inhaberin eines Beleuchtungsgeschäfts in Oberbayern, tönt eine Frauenstimme aus Lautsprechern; was folgt, ist aber weder Loriot-Sketch noch ulkige Sprechpourrie-Komposition, sondern eine Meldung über die erfolgreiche Klage gegen 2G-Regeln in Geschäften des angeblich nicht täglichen Bedarfs. Und in der Tat, sinniert man (den Groll gegen die Torheit der Impfmuffel mal vergessend), ist Beleuchtung denn nicht tägliches Menschenbedürfnis? Nicht nur in Oberbayern, sondern erst recht in Berlin, wo der Januar auf der scheußlichen Masurenallee noch grauer ist als andernorts? Nach dem Konzert wird es dann überraschend heftig zu schneien begonnen haben.

Da ist man dann innerlich illuminiert von zwei weiteren Werken, die das DSO noch gespielt hat. Macchine in echo heißt das Werk von Luca Francesconi, das als Doppelklavierkonzert zu bezeichnen eine Untertreibung wäre, denn neben dem GrauSchumacher Piano Duo sind noch echoenderweise unter anderem ein weiteres Klavier, ein Akkordeon, eine Harfe dabei, die bei einer Kadenz kurz vor Schluss gar von einer Bohrmaschine accompagniert und/oder gestört wird. Während Ammanns Glutkugel gleich heftig losrollte, findet hier eher ein großer Steigerungsvorgang statt, bei dem man nicht mitwippt, sondern angespannt mitpendelt. Die Stärken des Stücks scheinen mir zugleich die Schwächen: die hohe Dominanz des sehr abwechslungsreichen Doppelklavierparts und ihrer Echos und dadurch gewissermaßen die Umstülpung des Orchesters, deren sonst übliche Mitte (Streicher und Kernbläser) eventuell leicht unterfordert ist.

Ganz großes Hörglück ist für mich schließlich Quicksilver der 1984 geborenen serbischen Komponistin Milica Djordjević. Die visuelle Quecksilber-Assoziation ist wohl eher gedanklicher Ausgangspunkt des Werks, das ebensogut Belgrade 42nd Street oder sonstwie heißen könnte und dennoch faszinieren würde mit seinem Oszillieren zwischen Schwere und Beweglichkeit, über Gongschwing- und Donnergrund ein hochnervöses Dauerzierpsen der Streicher. Das Orchester ist in zwei symmetrische Gruppen geteilt, die Streicher sind um ein Viertel gegeneinander „verstimmt“. Doch wenn das Stück einmal begonnen hat, ist man als Hörer schnell in ein Fließen hineingeraten, das zwar zu- und abnimmt, aber im Grunde immer schon da gewesen zu sein scheint und immer da sein wird. Toll!

Ohne Weiteres könnte man sich die Werke von Ammann, Francesconi und Djordjević mit Gewinn für alle Seiten in der Gesellschaft von Bruckner oder Sibelius oder anderen symphonischen Großschlagern vorstellen. Nachdem das DSO die Sachen eh so kompetent einstudiert hat, sollte man sowas ruhig mal erwägen, um den verflixt engen Fach- und Freundeskreis des Ultraschall-Festivals zu durchbrechen. Ein weiterer Pluspunkt des Eröffnungskonzerts: dass da keine einzige Uraufführung dabei ist. Denn ohne Zweit-, Dritt- und Usw-Aufführungen kann der ganze Kompositionsladen eh zumachen.

Erste Ermattung am zweiten Abend

Fraglicher schienen mir die Aussichten, die Stücke des zweiten Orchester-Abends mit zum Beispiel Schubert oder Prokofjew zu koppeln. Das Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters fällt für mich gegenüber dem Eröffnungsabend mit dem DSO merklich ab, trotz starker Orchesterleistung. Christian Winther Christensens Piano Concerto kommt mir wie ein Witz vor, bei dem niemand lacht. Wenn Rei Nakamura am Klavier am halb bis fast ganz stummgestellten Klavier nur hektisch matte Sample-Figuren fiepsen darf und das Orchester dazu pustet und klopft, zieht sich die Zeit, aber nicht ins Spukige, sondern ins Öde. Allein in Francesconis Sekundenbegegnung von Harfe und Bohrmaschine am Vortag steckte mehr Jokus als in diesen sehr langen über zwanzig Minuten.

Auch Mirela Ivičevićs Black Moon Lilith hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck mit seinem geballten eso-feministischen Kitsch. „Wild und unverfälscht“ sei die Weiblichkeit der adressierten Dämonin, die Klimax des Stücks wird dann zu einer etwas trivialen Soundwall. Gleichwohl hat das Ganze akustischen Reiz, zumal der reduzierte Anfang, der starken Sog verheißt. Der Abend schließt dann mit Sergej Newskis 18 Episodes: an sich ganz einnehmend schrullige Murkelklänge, aber rechte Begeisterung will nicht aufkommen. Beim elektronischen Zuspiel muss der erste Geiger niesen. Und der tüchtige Bas Wiegers dirigiert das Gesirre mit Emphase, als wär’s Mahlers Sechste. Ein klein wenig schleicht sich im Lauf dieses zweiten Orchesterkonzerts bei mir dann doch die von Firssowa zumindest angedeutete Frage ein: Für wen soll die Musik dieses Abends sein, außer eben für die Sekte von Freunden und Kollegen?

Weitere Kritik der beiden Konzerte bei Schlatz

Zu Ultraschall

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2 Gedanken zu „Sektenbeleuchtend

  1. Finde die diesjährige Zurückhaltung bei Uraufführungen (abgesehen vom gestrigen Lux-NM-Konzert) auch auffällig und lobenswert. Etwas schade, dass die Philharmoniker einiges ihrer wenigen reinen Neue-Musik-Konzerte (gestern die Late Night) auf einen Termin legen, da traditionellerweise Ultraschall läuft.

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