Der Bayreuther Festspiele dritter Tag: Nach zwei Tagen Bullenhitze regnets ein bisschen. Zu Tristan und Isolde radelt der Konzertgänger durch die Mottlstraße von der Seite an den grünen Hügel ran, aus Gründen:
Heut Abend dirigiert der Mottl den Tristan / Hört Euch doch nicht von dem Trottel den Mist an / Schafft Euch viel lieber ein Drittel Most an / Und sauft Euch mit dem Mittel Trost an.
Doch bei Christian Thielemann gilt, besser erst Tristan, dann Most ran. Denn der Konzertgänger wird in Bayreuth glatt noch zum Thielemann-Fan.
Thielemanns Souveränität im mystischen Abgrund ist stupend. Schon das Vorspiel geht er im Stop&Run-Verfahren an, wie so ein weißer BMW in der verkehrsberuhigten Zone, heftig drücken, übers Moabiter Kissen endlos gedehnt, dann wieder losdonnern. Aber was im Straßenverkehr ein Fall für die MPU wäre, wirkt sich bei Wagner hochintensivierend aus. Und das Festspiele-Orchester ist wirklich eine Klasse für sich. Jedesmal, wenn an den bisherigen Abenden ein Solist hervortrat, wars fantastisch. Im Tristan gibts nun, Ende Akt 2 und Anfang 3, ausführliche Soli, die sind pures Glück.
Mit der Inszenierung von Richards Urenkelin Katharina Wagner (die, obwohl in den besten Jahren, mit ihrer rauchigen Stimme so herrlich abgelebt wirkt) ergeht es dem Konzertgänger verstörend. Am Anfang kommt diese Regie ihm wie ein Totalreinfall vor, in der Mitte ambivalent, am Ende atemberaubend. Der heftige Buhschwall am Ende besiegelt, dass hier etwas Besonderes vorliegt.
Im einzelnen: Im ersten Aufzug ist die Bühne voller Treppen, ein kreuzes und queres Treppenwerk, wie der Älteste des Konzertgängers einst als Dreijähriger nannte, was er aus Duplosteinen baute. Aber ganz grau hier. Es gibt Regie-Ideen. Aber dass Tristan und Isolde sich auch ohne Trank bereits geliebt haben, das hat doch jeder längst mal gedacht, der sich nur ein bisschen auf diese Oper eingelassen hat. Das Offenbare zu explizieren ist doch keine Interpretation. Und es dann noch durch ungelenke vorzeitige Knutscherei und demonstratives Liebestrank-Ausschütten auszudrücken, naja. Und als schließlich die Liebenden gemeinsam den Brautschleier zerfetzen, ein einsames Requisit, mit dem zuvor kein Darsteller was anzufangen wusste, siehts aus wie das, was der Jüngste des Konzertgängers, zwei Jahre, gern mit Klopapier macht, wenn keiner dabei ist.
Da sehnt der Konzertgänger sich nach einem Hörplatz. Doch im zweiten Aufzug werden die Ideen origineller, die Nacht der Liebe findet im Gefängsnishof statt, das auszulöschende Licht sind Suchscheinwerfer, die Hofgesellschaft erwischt die Liebenden schließlich beim gemeinsamen Selbstmordversuch. Das ist so faszinierend wie nervig-hibbelig. Umwerfend aber der dritte Akt. Da findet eine Séance am Rande eines riesigen schwarzen Dunstes statt, in den Tristan sich wieder und wieder hineinwagt, Visionen findend und verlierend. Dass Isolde sich am Ende in einer ganz anderen Art von Schwarz verliert, ist auf ganz andere Art atemberaubend: Es schnürt einem die Kehle zu.
Gloriose Koinzidenz, dass die Sänger Petra Lang und Stephen Gould am Ende nicht des Atems beraubt sind, sondern sich selbst übertreffen. Petra Lang ist eine erstrangige Isolde, von einer enormen Bandbreite des Ausdrucks. Allein die höhnischen Hexenzüge im ersten Aufzug, die doch bei mancher Isolde schal geraten, zeigen, wie viel Kundry und Ortrud sich noch in Langs Stimmbändern verstecken. Gould hat eine im Vergleich eindimensionale Stimme, nicht so charakteristisch wie Lang und nicht einmal besonders schön. Einen Tag nach Andreas Schager würde dem Konzertgänger freilich jeder Wagnertenor gefallen, aber Gould ist prima. Seine Qualität ist nicht die spontane Überwältigung, sondern die nachhaltige Überzeugung. Mit traumwandlerischer Sicherheit wandelt er am Ende ins Schwarze.
Erfreulich auch die weiteren Rollen: René Pape als König Marke, gegen den man höchstens einwenden könnte, dass man ihn nun zu gut im Ohr hat. Iain Paterson und Christa Mayer sind vorzüglich als Kurwenal und Brangäne. Schön, den Komische-Oper-Tenor Tansel Akzeybek nach dem Parsifal-Ritter schon zum zweiten Mal auf der Bayreuther Bühne zu erleben (als Hirte überzeugender denn als Seemann).
Die vom grünen Hügel (bei Most oder dem guten Bayreuther Bier) gut zu sehende Mondfinsternis rundet, als weitere gloriose Koinzidenz, den Abend ab. Mehr aus Bayreuth in meinem langen Artikel morgen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Oh oh Thielemann hat einen neuen Fan :-))) Ja bei bestimmten Komponisten ist der wohl wirklich Klasse, aber dann….. Aber da ich ihn von Anfang seiner Karriere ihn „kenne“ gibt es viele aussermusikalische Gründe ihn nicht zu mögen, deshalb immer nur so partielle Zustimmung. Für Fr. Lang freue ich mich besonders, da ich sie sehr schätze und auch vielfach m.E zu Unrecht geschmäht wird
Ich war sehr überrascht, wie gut mir Frau Lang gefallen hat. Und was Thielemann angeht, künstlerische und menschliche Qualitäten sind halt ein komplexes Feld. Vieles, was so erzählt wird, kann man ja nicht beurteilen, aber klar, wenn auch nur die Hälfte stimmt, ist das schon unangenehm. Wenn man ihn persönlich erlebt, wirkt er übrigens sehr angenehm und witzig, stelle ich aus der Nähe fest. Aber ich glaube, wir beschäftigen uns besser mit der Musik als mit den Charakteren der Musiker …