Hojotoho, Abschiedssause im Zeittunnel! Mit Rheingold und Walküre begann am Wochenende der erste der beiden letzten Zyklen, den die Deutsche Oper ihrem Ring des Nibelungen gewährt. In der legendären Götz-Friedrich-Inszenierung, die gefühlt älter ist als der Ring selbst. Ein düst`rer Tag dämmert dem Tunnel, in zwei Wochen geht’s mit Alba ab zum Recyclinghof.
Schon wieder eine Unendlichkeit vorbei also. Zu End‘ ewiges Wissen, wie Wilhelm Busch dichtete, hinab zur Mutter, hinab! Oder in Richard Wagners unsterblichen Versen: Eins, zwei, drei im Sauseschritt saust die Zeit, wir sausen mit.
Der Konzertgänger schaut’s mit größtmöglicher Voreingenommenheit an. Denn dieser 1997 schon uralte Ring war sein ureigenes Wagner-Ur-Erlebnis, seine Ur-Oper. Später folgten noch ein paar Durchgänge, u.a. mit Thielemann. Damals aber dirigierte unbestechlichen Unterlagen zufolge Jiří Kout (wer war das?), es sangen Gwyneth Jones als Brünnhilde, René Kollo als Siegfried, Robert Hale als Wotan. Und natürlich Matti Salminen als Hunding und Hagen. Den wenigstens hätte man vielleicht nochmal auffahren können? Irgendwie hätte der’s noch hinbekommen.
So wie ja auch Peter Sykoras berühmtes Bühnenbild mit der 34 Meter langen Tunnelröhre noch hält. Zwar fällt, bei aller wogenden Wehmut, zunächst auf, dass an manchem doch der Zeit-Zahn genagt hat. Nicht nur an der apokalyptischen Grundstimmung, deretwegen die Götter vor Atomtod oder Waldsterben oder Volkszählung in die Erde geflüchtet sein sollen. Auch dies und jenes hat man flüssiger in Erinnerung. Das steife Wedeln der Vorhänge in der Rheinszene ist nicht gerade der große Wasserzauber, die Glitzerpellen der Rheintöchter haben Charlottenburger 80er-Jahre-Erotique-Chic, von den Lack-und-Leder-Walküren beim Speer-Poledance zu schweigen. Und Loge als Wagner zu kostümieren, hat sich irgendwie auch abgewitzt.
Überhaupt, der Gang der Zeit: Im Premierenjahr 1984 (als der Konzertgänger noch Rolfs Schulweg-Hitparade hörte) wird man bei den verschleierten Gestalten im langen stillen Eröffnungsbild, bevor der erste Ton erklingt, noch nicht an böse Burka-Brigaden gedacht haben. In die schillernde Regenbogen-Musik vor dem Walhall-Einzug wird noch kein Handy gebimmelt haben. Und den Reichstag, vor dessen putziger Mini-Ruine im zweiten Aufzug der Walküre Wotan und Fricka zanken, wird man sich noch nicht mit Norman-Foster-Kuppel vorgestellt haben.
Und doch. Nicht nur der Tunnel hält, mag er auch hier und da bandagiert sein: Auch die Erinnerung hält. Diese scheinbar endlose Röhre bleibt ein einzigartig auratisches Bühnenbild, das (mag seine sterbliche Hülle auch geschrottpresst werden) ins Walhall der ewigen Ring-Ikonen einzieht.
Und ins ganz persönliche Walhall: An diesen Tunnel wird, wer je ihn gesehen, sich bis ans Lebensende erinnern. Und an manches andere: Das blödsinnig-großartige Tänzeln der Götter gen Walhall etwa, zwei vor, eins zurück, die Arme von sich gestreckt wie gekreuzigte Frösche.
Das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles ist höchst motiviert. Nun ja, wann, wenn nicht jetzt? Im Rheingold rank und schlank, in der Walküre haut’s auch kräftig auf die Pumpe, aber nur, wo es passt (auch wenn der Walkürenritt mehr donnert als blitzt). Prächtiges Blech, ungewohnt beredtes Holz.
Die Sängerbesetzung ist solide, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daniela Sindram als Fricka fällt schon im Rheingold als Ausreißer nach oben auf. Thomas Blondelle muss erwähnt werden, der als sehr kurzfristiger Einspringer für Burkhard Ulrich von der Seite aus einen feinen, differenzierten Loge singt. Stuart Skelton (auch ein Einspringer, für Brandon Jovanovich) und Eva-Maria Westbroek sind ein nicht sehr lyrisches, umso kraftvolleres Wälsungenpaar in der Walküre. So brunstvoll und knisternd, dass es in der Tat sehr nötig ist, dass der Vorhang schnell fällt, wie der Wagner-Hasser Max Nordau in seinem Buch Entartung (1892) entrüstet ätzte.
Und dann ist da noch die eindringliche Evelyn Herlitzius als Brünnhilde. Die polarisiert wie stets mit ihrem Mega-Tremolo im Dauereinsatz. Urväter Weisheit (in Gestalt von Konzertgängers Sitznachbar, der weiland schon die echte Brünnhilde gehört haben dürfte) will auch wissen, sie intoniere unsauber. Aber wenn zu Wotans Abschied ihr i unendlich ausschwingt in Der diese Liebe mir ins Herz gelegt, ist der Konzertgänger völlig überzeugt von ihr.
Ebenso ergreifend, aber mit viel zurückhaltenderen Mitteln ist Iain Patersons makelloser Wotan (im Rheingold noch vom untadeligen Derek Welton gesungen). Zwar wird nie wieder jemand dem Hunding das Geh so göttlich-tödlich hinhauchen, wie es Robert Hale 1997 tat. In der Erinnerung des Konzertgängers. Aber Paterson hat Kraft ohne -meierei.
Die Schlussszene der Walküre hält, was die Erinnerung versprach. Trotz der albernen acht Teelichte, die Wotan da als wabernde Lohe entzündet. Gibt es nicht viel zu wenige Vater-Tochter-Abschiede in der Operngeschichte? Wenn Wotan am Ende zusammensackt und sich ans Herz fasst (denn das sitzt bei den Göttern rechts, sie sind ja unsere Spiegelbilder), dann zerreißt es auch uns.
Zum letzten Mal letz‘ es mich heut‘ mit des Lebewohles letztem Kuss!
Diese Woche noch Siegfried und Götterdämmerung, dann ein allerletzter Durchlauf bis Ostern. Rettungslos ausverkauft natürlich und Ansätze von Schwarzmarktwucher vor der Tür; also besser in Erinnerungen schwelgen und auf Herheims neuen Ring 2020 sparen.
Ergänzung: Beiträge zu Siegfried und Götterdämmerung
Ach schön, die Krankheit des Alters, dass alles in der Vergangenheit immer besser war! Spricht mehr über die Erinnerung als die Realität.
Bei der Premiere in vorgeschichtlicher Zeit hat Simon Estes den Wotan gesungen. Was kaum vorstellbar ist, denn eigentlich gehört Robert Hale zu diesem „Ring“ wie Rummenigge zum FC Bayern, wie Ariane Mnouchkine zum Théâtre du Soleil und Botho Strauß in die Uckermark. Hale ist noch keine 75 Jahre alt: Man hätte ihn reaktivieren sollen. Und Kollo und Armstrong haben doch erst kürzlich noch im Renaissance-Theater „Bella figlia dell’amore“ zum Besten gegeben (in „Quartetto“). Man hätte sie alle, alle noch einmal auf die Bühne schicken sollen, und es wäre noch schöner geworden, als es nie war …
O ja! Bei einer allerallerletzten Aufführung mit Hale, Kollo, Armstrong wäre ich zu jedem Preis dabei!
Schade um den Tunnel! Danke für die sehr schöne Beschreibung. Erinnert mich ein wenig daran, als ich den „Zauberer von Oz“ mit 30 Jahren Pause wiedergesehen habe…
Ich hab von Freunden, die bisher alle Ringe, natürlich nur von jeder Serie einen, erlebt haben, gestern gehört haben, er ist ganz schön geflickt, und wird wohl nur mühsam zusammengehalten. Hatte Ihnen Fr. Armstrong auch am Sonntagabenden bestätigt
@Andrea Schopf-Balogh: Ja, es hat diesen Wiedersehens-Effekt, wobei ich diesen RING ein paarmal zwischendurch gesehen hatte – zuletzt vor etwa 10 Jahren.
Mit dem Wiederanschauen von TV-Serien, die ich als Kind liebte und, mehr noch, als tief mystisch empfand, habe ich allerdings böse Erfahrungen gemacht, oft das Wiederanschauen bereut.
@Uwe Mohrmann: Karan Armstrong war also auch da, das ist schön. Dass der Tunnel mittlerweile fast auseinanderfällt, wurde auch in dem rbb-Beitrag von Maria Ossowski berichtet.
Ich habe über diese Tunnel-Inszenierung leider total verpasst, werde aber schauen, ob ich irgendwo „historische“ Aufnahmen finde. Danke jedenfalls für den Tipp!
Hier sieht man den Tunnel ganz schön, vor allem gegen Ende des Trailers:
https://youtu.be/ItDrCRLtutM
Auf DVD liegt dieser Ring m.W. nicht vor – erstaunlich eigentlich.
Sehr beeindruckend!
Frau Armstrong
betreut doch alle Götz Friedrich Inszenierung noch, wenn sie wieder gespielt werden. Im Übrigen eine ungeheuer sympathische Dame und sehr angenehme Gesprächspartnerin. Ausserdem, und das fand ich wieder bewegend, war sie in Begleitung des Witwers von Frau Rysanek, die zu meinen ganz großen Glücksmomenten zählte. Ausserdem ihres kleinen, jetzt sehr großen gemeinsamen Sohnes mit Friedrich, den ich noch als ganz kleiner Knabe in seiner damaligen Lohengrin Inszenierung erlebt habe
Sie wissen wieder mehr als ich. Leonie Rysaneks Witwer hätte ich nun wirklich nicht erkannt!
Dieser Ring-Abschied muss für Friedrichs Hinterbliebene wirklich tief bewegend sein. Naja, ist er für alle, die Wagner lieben.
ich bestimmt auch nicht, nur hat Fr. Armstrong ihn vorgestellt. Allerdings muss ich noch etwas zu Ihren Teelichtern sagen. Glaube, das war bei letzten Ring auch schon so. Wenn ich dass recht in Erinnerung habe, funktioniert wohl die „Feuermaschine“ nicht mehr, und um die wieder in Gang zu bringen, wird wohl der Aufwand zu groß sein
Kann sein. Ich habe die Feuer allerdings auch vom ersten Mal vor 20 Jahren als Funzeln in Erinnerung. Aber das ist ganz egal, mit der Musik und in dem Umfeld werden die Teelichte eben doch zur Waberlohe. Darum geht es ja irgendwie in der Oper; wie Thomas Mann (ich glaube, angesichts eines adipösen Wälsungenpaares) sinngemäß schrieb: den Mythos dem Theater abgewinnen.
das war gut :-))
Die Sängerbesetzung ist solide, nicht mehr, aber auch nicht weniger
Ich glaube, mehr ist heute auch nirgends mehr zu erwarten. Ich kann mich auch noch an die „alten“ Besetzungen erinnern, aber ob einen da nicht doch die Verklärung ein bisschen das Ohr verkleistert?