Im Grunde ein Rätsel, warum der Kammermusiksaal nicht rappeldicht ist: Drei der klangvollsten Werke von Schumann und Brahms im Rahmen der interessantesten, abwechslungsreichsten Kammermusikreihe Berlins. Nur die Namen der Musiker, die bei Spectrum Concerts spielen, sind zwar klangvoll, bekannt, aber nicht berühmt. Nebolsin, Braunstein, Brovtsyn, Stumm, Andrianov.
Nachwuchs ist das nicht, sondern Crème de la crème.
Ungewöhnlich für Spectrum: Der erste Teil ist diesmal ein Klavierrezital. Der Pianist Eldar Nebolsin, gebürtig in Taschkent und jugendlich wirkender Professor an der HfM Hanns Eisler, spielt Sieben Fantasien op. 116. Vollblütiger, dunkel rauschender Spät-Brahms ist das, der aber doch ein wenig vorbeizurauschen droht. Obwohl ausdrucksvoll, technisch stark sowieso, könnte der Konzertgänger sich einzelne Töne, gewisse Momente stärker ausgekostet vorstellen, um größere Spannung zu erzeugen.
Spürt man da die leichte Hemmung eines feinen Kammermusikers, der sich nicht gern in den Vordergrund drängt?
Das gewisse Etwas, das der Konzertgänger sich bei Brahms wünschte, ist dann da in Robert Schumanns Fantasie C-Dur op. 17. Selbst gegenüber der Erinnerung an Grigory Sokolov (in Berlin und Bozen) und Maurizio Pollini im letzten Jahr besteht Nebolsins lebendige, leidenschaftliche Interpretation mit ihren klar konturierten Themen, leuchtenden Farben, delikaten Trillern; der zweite Satz mit Drive, ohne zu dröhnen, der dritte Satz durchweg leise, ohne je ins Undeutliche zu geraten.
Doch ganz daheim scheint Nebolsin im musikalischen Miteinander. Das ist aber auch ein Team, mit dem er nach der Pause Johannes Brahms‘ Klavierquintett f-Moll op. 34 aufführt! An der ersten Geige Guy Braunstein, der sein Dasein als gescheiterter Kammermusiker (anders gesagt: Konzertmeister der Berliner Philharmoniker) an den Nagel gehängt hat, um solche Sachen zu machen wie hier. An der zweiten Geige der Russe Boris Brovtsyn mit, wie stets, traumhaft schönem Ton. An der Bratsche die umwerfende Amerikanerin Jennifer Stumm – welche Intonation, welche Intensität. Am Cello Boris Andrianov mit singendem, üppigem Ton.
Doch nicht die individuelle Qualität ist das Ereignis, sondern die vor Leben berstende Homogenität des Ensembles. Die Wucht des Kopfsatzes erschlägt einen fast, aber nicht weil der Klang breiig wäre, sondern weil Brahms‘ überdichter Tonsatz so perfekt durchgestaffelt ist. Man staunt doch über die instrumentalen Reize, da Brahms ja nicht von den Instrumenten her dachte – das Klavierquintett entwarf er zuvor als Streichquintett (das er später vernichtete), dann als Sonate für zwei Klaviere.
Wenn man im Kopfsatz irgendwann meint, Brahms sei eben doch zu krass, diese motivisch-thematische Fron, wer soll all die verwickelten Gedankengänge verstehen – dann, ja dann gibt es eben gleich darauf die brahmsschen Mittelsätze. Ein herzwärmendes, doch sehr gewichtiges Andante und ein Scherzo, dessen pochende Rhythmen kurios ans Rheingold erinnern:
Etwa nicht? Erstmals ab 0’12, dann ausgeprägter ab 0’58:
https://youtu.be/XjUiamyzOvA
Aber so ein Trio wie Brahms‘ Klavierquintett hat das Rheingold nicht! Und hat Brahms etwas Schöneres komponiert als die langsame Einleitung zum Finale?
Pures klassisch-romantisches Kammermusik-Glück. Das nächste Spectrum-Konzert am 27. April widmet sich wieder dem Herzensanliegen der Reihe, Werken der anderen, oft verdrängten Moderne: mit Mieczysław Weinberg, Hindemith, Walton, Robert Helps. Und Brahms. Und das Programm der Saison 2017/18 nimmt auch langsam Form an.
Ich freue mich, dass sie so optimistisch sind. Ich selbst sehe das wie gesagt deutlich düsterer. Aber ehrlich gesagt ist es mir reichlich egal, was in 50 Jahren ist, ich persönlich würde gern mehr solche Live-Acts sehen können, ohne die reichlich drei Stunden nach Berlin fahren zu müssen. Nur, meine Erfahrung zeigt, dass man etwa in Jena sonntags zu den Kammermusiken nicht einmal die kleine Rathausdiele vollkriegt.
Dabei will ich sonst gar nicht klagen: Deutschland führt nach wie vor in der Dichte kultureller Einrichtungen; allein ich in der südostthüringer Waldeinsamkeit hinter den Bergen kann innerhalb einer Autostunde zig Theater und Opern- und Konzerthäuser erreichen – eine halbe bis dreiviertel Autostunde nach Hof (Saale) und Plauen, eine knappe Stunde nach Gera und Jena, eine reichliche Stunde nach Weimar, Leipzig und Bayreuth, anderthalb Stunden nach Erfurt, knapp zwei Stunden nach Dresden.
Das große Format aber sehe ich in der Provinz doch eher selten …
Ja, das Publikum will umworben und erzogen werden, auch neue Formate muss man ausprobieren, das Interesse stirbt dann nicht aus. Statistiken sind auch eindeutig, in Deutschland gehen mehr Leute in klassische Konzerte als in Fußballstadien!
Wie Sie schreiben, unsere unvergleichliche Dichte. Der nächste RING liegt näher als das nächste Bundesligamatch.
„Im Grunde ein Rätsel, warum der Kammermusiksaal nicht rappeldicht ist: Drei der klangvollsten Werke von Schumann und Brahms im Rahmen der interessantesten, abwechslungsreichsten Kammermusikreihe Berlins.“
Natürlich würde ich jetzt nur allzugern in ein Lamento mit einstimmen; allein, weil ich auf dem Dorf hinter den Bergen im Wald wohne und solche Kammermusiken so freudig besuchen würde, spielten sie sich in der Nähe ab. Freilich, das Angebot in der Hauptstadt ist unendlich groß und die Zahl der Klassikenthusiasten selbst unter knapp 4 Millionen begrenzt. So geht es, in einem halben Jahrhundert geht niemand mehr …
Da teile ich Ihren Pessimismus nicht. Ich erlebe so viele ausverkaufte Streichquartett-Abende! Ich glaube, in einem halben Jahrhundert gehen alle Menschen auf der Welt zu Streichquartett-Abenden!
Im Ernst, ich denke, in dem Fall ist es wirklich die Mischung aus recht unbekannten Namen, übergroßer Konkurrenz und relativ hohen Preisen, da nur wenig gefördert. In ein Konzert von András Schiff & Jerusalem Quartett kommt man günstiger, wohl dank Unterstützung durch die Stiftung Berliner Philharmoniker.
Vielleicht sollte man die Spectrum-Reihe mal in der „Provinz“ propagieren, die ist jeder Einladung wert.