Metaspektakelig: Wiederaufnahme von Purcells „King Arthur“ an der Staatsoper

Abwesenheit macht Freude. Abwesenheit: Daniel Barenboims Staatskapelle gastiert mit ihrem vor wenigen Tagen in Berlin gespielten Debussy-Programm im noblösen Musikverein Wien, hoffentlich macht sie uns Ehre. Freude: Die Staatsoper Unter den Linden hat daher Vakanz für eine willkommene Wiederbegegnung mit Henry Purcells King Arthur, gespielt von der Akademie für Alte Musik unter René Jacobs. Schon die Erstbegegnung vor einem Jahr, noch im Schillertheater, war ja ausnehmend einnehmend.

Wie schlägt sich die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch im Stammhaus Unter den Linden?

Gewiss verträgt Purcells prächtige Musik das Wiederhören besser als die ausgedehnten Sprechszenen. Die langwierigen Dialoge werden zusätzlich in die Länge gewiert durch eine Metahandlung, die das altenglische Kriegs-Abenteuer-Zauberspektakel (Handlung) rahmt und durchwirkt: King Arthur als Vorlesebuch, mit dem ein britischer Junge im Zweiten Weltkrieg einerseits heldenepisch indoktriniert wird, andererseits den Verlust seines gefallenen Vaters und den drohenden Verlust seiner Mutter durch einen neuen Ehemann in freier Fantasie kompensiert. Die Figuren des Spektakels haben alle Doppelgänger auf dieser Meta-Ebene.

Klingt oktroyiert, schaut sich aber schlüssig und jederzeit nachvollziehbar.

Außerdem nimmt es ein, dass Bechtolfs und Crouchs offensiver Ansatz sich nicht verklemmt vor dem Genre Semi-Opera drückt, das fürs heutige Publikum schon ein bissl schwierig ist, weil man halt immerzu fingerdrehend auf die Musik wartet. Das ewige Gequatsche großteils rauszustreichen, wie es bei der Zauberflöte angehen mag, ließe den Zuschauer bei Purcell unbelehrt über diesen englischen operngeschichtlichen Sonderweg. Außerdem würde es den Zwitter als Drama einfach schrotten. Denn singen tun hier nur die Nebenfiguren, keine der Hauptpersonen.

Das Regieteam macht also aus der Not eine Tugend und sattelt in punkto Schauspiel noch eine Ebene drauf – gewiss auch, weil so ein wüstes Nationalspektakel die Unschuld, die es nie hatte, längst verloren hat. Man kann zwar fragen, ob Ironisieren nicht ausreichen würde und es diesen Knick ins Finstere, Tragische braucht. Aber die stringente Umsetzung nimmt für das Konzept ein, und zumal der Schluss geht einem durch Mark und Bein und Gedärm.

Vor allem aber funktioniert es, weil das alles handwerklich gekonnt bis brillant ist: witzig und spritzig und fantasievoll und poetisch, kurzum todtraurig. Die Schauspieler sind stark. Es spielt großteils die Besetzung der Premiere, nur DT-Urgestein Jörg Gudzuhn ersetzt als Großvater/Zauberer Merlin den vor wenigen Monaten gestorbenen Hans-Michael Rehberg. Als böser Zauberer Osmond amüsiert Oliver Stokowski, sofern man nicht unter Kalauerallergie leidet. Max Urlacher als Arthurs sächsischer Rivale Oswald und Vater-Usurpator auf der Meta-Ebene ist mit seinem wehleidig-schleimigen Softie-Pathos die facettenreichste und abgründigste Figur. Ferdinand Kramer spielt rührend das stumme Kind, Meike Droste höchst temperamentvoll Arthurs geliebte Emmeline bzw die Mutter, Michael Rotschopf sachgemäß den toten Papa vulgo King Arthur.

Musikalisch ist man der Akademie für Alte Musik sowieso in den besten Händen, die man sich wünschen kann. Und Purcells Musik in der sanierten Lindenoper in guten Wänden; so problematisch die gepimpte Akustik für romantischen Mischklang sein mag, klingt diese alte Musik erzgenau und angenehm voll. René Jacobs ist ein guter Zauberer und hat aus Purcells magischem Grimoire exquisite Instrumentalmusik herausgesucht hat, die die Dialoge sinnig untermalt und sinnlich verkurzweilt. Zusammen mit der Meta-Ebene bringt die Extra-Musik den King Arthur freilich von den üblichen zwei Stunden auf drei.

Das Wichtigste zum Schluss, die Sänger. In einer durchweg guten Besetzung (mit ordentlichem Staatsopernchor) entzücken die beiden Soprane besonders. Als nervös-liebenswerter Luftgeist Philidel, anfangs am Fallschirm hängend, spricht Anett Fritsch ihre Dialoge, wie sie’s am besten kann: singend – wunderbar! In fünf weiteren Rollen, darunter als Cupido, brilliert sie von der Koloratur bis zur Diseuse. Robin Johannsen ist in ebenfalls sechs Rollen an glasklarer Gestaltung und Agilität mindestens ebenbürtig, insgesamt sicher exakter als Fritsch.

Unter den weiteren Sängern könnte man James Way hervorheben, der als flugs aus London herbeigezauberter Einspringer aus dem Orchestergraben singt, was der erkrankte Stephan Rügamer auf der Bühne spielt: ein Tenor von einnehmender Lyrik und ausnehmender Anmut, den man in Berlin gern wiederhören möchte. Ein Wermutstropfen vielleicht, dass das Paradestück schlechthin, die Frost-Arie, beim kompetenten Neal Davies etwas zu wohltemperiert scheint. Die müsste einem doch Finger und Zehen abfallen lassen.

Erfreuliches am Rande: Die Staatsoper hält an der Garderobe jetzt Sitzkissen für Kinder und andere Sitzzwerge bereit, ein Service, der an der Komischen Oper schon lange üblich ist, in dieser heiligen Halle aber noch vor einem halben Jahr als schlechterdings ausgeschlossen verweigert wurde. Es gibt vielleicht keinen Fortschritt, aber Fortschritte schon.

Vier weitere Termine am 10., 11., 19. und 21. Mai

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2 Gedanken zu „Metaspektakelig: Wiederaufnahme von Purcells „King Arthur“ an der Staatsoper

  1. Alle Details gibt es mal wieder nur bei Ihnen zu lesen. Wird im Programm eigentlich aufgeführt, welche Zusatzmusiken von Purcell verwendet wurden. René Jacobs wird nächste Saison übrigens nicht mehr an der Lindenoper dirigieren.

    • Nein, ich hatte nachgeschaut, gerade die letzten Stücke im drangehängten Schwanz interessierten mich. Im Programmheft heißt es nur „einige seiner Gambenfantasien, aber auch Pavanen und andere Instrumentalsätze“ (Interview René Jacobs). Eine Liste der Stücke wäre ein schöner Service.

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