Sanfttröstend: Sampson und Bezuidenhout im Boulezsaal

Ariadne auf Naxos, sich nach einem Clavier sehnend I

Gelobt sei die Kunst des sinnigen Sichversprechens und Sichversingens! Nur ein die und ein der vertauscht, und schon ersetzt der Großvater die Oper: Flieht, was der Opa singet und folgt der Phantasie. Wie schön ist das denn! Wahrlich von tieferem Sinn aber, wenn die wunderbare Sopranistin Carolyn Sampson nicht singt Doch nein, laß mir mein Leid und meine Zärtlichkeit, sondern: mein Leid und seine Zärtlichkeit. Die Zärtlichkeit des Leids. So geschehen in einer Ode an das Clavier von Friedrich Gottlob Fleischer, einer von vielen wertvollen Raritäten, die man an dem schönen, klugen Liederabend von Sampson und dem sorgsamen Pianisten Kristian Bezuidenhout im Pierre-Boulez-Saal kennenlernen darf.

Carolyn Sampson ist von hinreißender Schusseligkeit. Einmal bricht sie ein Lied ab und fängt von vorne an, einmal saust sie von der Bühne, um zwei fehlende Notenblätter zu holen. Aber an ihrem Gesang ist gar nichts schusselig, und der ist noch hinreißender. Ihr klares, warmes Timbre ist ausgeglichen in allen Lagen, jede Verzierung ein kleiner Glücksschauer. So hoch Sampsons technische Kunst, so natürlich klingt sie dabei jederzeit. Ihr Witz zeigt sich etwa in der Schlusspointe des weitschweifigen Dramoletts Montan und Lalage von August Bernhard Valentin Herbing, ihr dramatisches Talent in Joseph Haydns Solo-Kantate Arianna a Naxos, wo man am Ende des zweiten Rezitativs Sampsons Stimme fahl werden hört, als schwänden ihr Sinne und Blut.

Ariadne auf Naxos, sich nach einem Clavier sehnend II

Ah, Haydn! Aber … Herbing? Fleischer? Das sind zwei der ziemlich unbekannten Namen an diesem kenntnis- und gedankenreich komponierten und dabei sehr kurzweiligen Abend. Lauter Stücke aus dem 18. Jahrhundert, also aus der Zeit, die in der gängigen Liederwelt (die mit Franz Schubert beginnt, wie Sampson sagt) kaum vorkommt. Recht strophisch ist da manches, aber wenn es Mozarts Lied der Trennung ist, gehts direttemang ans Herz. Das Thema Trennung ist ein ariadnischer Leitfaden des Abends, aber auch Mozarts lebensbejahend pochendes An Chloe gehört dazu, ebenso wie die sterbensmütige Abendempfindung an Laura. Haydns Lieder wirken da im Vergleich tatsächlich steifer: Die Verlassene mit einigem Ha und Weh und O klingt wie von einer etwas steifen Schwester der Donna Elvira. Sehr originell und atmosphärisch aber Haydns Das Leben ist ein Traum, trotz der putzigen Verse von Gleim:

Wir schlüpfen in die Welt und schweben
Mit jungem Zahn
Und frischem Gaum
Auf ihrem Wahn
Und ihrem Schaum,
Bis wir nicht mehr an Erde kleben
Ariadne auf Naxos, sich nach einem Clavier sehnend III

Gleim reimt sich nicht ohne Grund auf Reim! Überhaupt, einige Sonne und Wonne und Liebe und Triebe begegnen uns. Die feinste Entdeckung aber sind die Lieder der nur mehr wenig bekannten Komponisten. Nicht nur Fleischer, sondern auch Christian Michael Wolff hat ein Stück An das Clavier geschrieben, etwas rührselig und recht rührend, der tränenreiche Text von einer gewissen Henriette Ernestine von Hagen. Ganz zart, gedämpft, fast durchsichtig wird Carolyn Sampsons Stimme in den Schlussversen: Sing bis Aurora scheint, und bis ich ausgeweint.

Sanfttröstendes Clavier!, heißt es in Hagens Text, und: Auf weichgedämpften Chorden ertönet dein Gesang. Kristian Bezuidenhout spielt einen restaurierten Wiener Flügel von etwa 1800 von Michael Rosenberger, der keine Pedale hat, sondern Kniehebel, und überhaupt einen außerordentlich feinen, wenn auch tatsächlich sehr weichgedämpften Klang, will heißen, zu laut ist er nicht für den Boulezsaal, in dem auch klein besetzte Sinfonien möglich sind. Sehr sinnig ist aber das im Programmheft abgedruckte Zitat aus Carl Philipp Emanuel Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen:

Der Begleiter kann zuweilen am meisten hervorragen, und die Achtsamkeit verständiger Zuhörer auf sich ziehen, wenn er in seinem ganz gelassenen Accompagnement eine blosse Festigkeit und edle Einfalt blicken lässet, und dadurch den glänzenden Vortrag der Hauptstimme nicht stöhret. Ihm darf dabei nicht bange seyn, daß man ihn bey dem Zuhören deswegen vergißt, weil er nicht alle Augenblicke lärmet.

Ariadne auf Naxos, sich nach einem Clavier sehnend IV

Bezuidenhouts Chorde tragen aber nicht nur in edler Einfalt Sampsons glänzenden Vortrag, sondern der Rosenberger leuchtet auch selbst in zwei schönen Sonaten, einer überraschungsreichen dreisätzigen von Carl Philipp Emanuel Bach (e-Moll Wq 59,1), der dritte Satz ist ein Andantino, und einer zweisätzigen von Haydn (g-Moll Hob.XVI:44), beide Sätze mittelschnell und der Schluss wunderlich gedämpft. Erlesene Hörerlebnisse, die sich zusammen mit Wolffs und Fleischers Liedern an das Clavier zu einer kleinen Historie dieses Instruments verbinden: viel mehr als eine Vorgeschichte des klaviersüchtigen 19. Jahrhunderts.

Erlesen, das ist dieser ganze Abend. Wenn das Berliner Konzertpublikum seine Gunst neugieriger gewährte, müsste es rappelvoll sein. Aber hinreißend ist es so oder so.

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