Weihnachtsferien sind unter Opernabhängigen die gefürchtetste Zeit: lauter schwatzende und knipsende Touristen in mittelmäßigen Aufführungen. Eine beflügelnde Perle im Jahresendprogramm dürfte Die Verlobung im Kloster von Sergej Prokofjew sein, die jetzt an der Staatsoper Unter den Linden wiederaufgenommen wurde.
Kaum zu fassen, dass dieses höchst amüsante Werk kurz nach den Jahren des „Großen Terrors“ entstand, am Beginn des Zweiten Weltkriegs. So wie die Figuren in diesem Stück nach einer etwas figarohaften Vorlage von 1775 sich buffohaft maskieren, scheint sich hier auch der angstschlotternde Komponist zu maskieren; was aber ästhetisch zu Prokofjews Anverwandlungskunst vielleicht gar nicht so quer steht. Ein scheinbar ungetrübter Spaß. Ja, das Stück ist saukomisch.
Zumal Dmitri Tcherniakovs Inszenierung der Verlobung weitere Masken überzieht. Die Idee, das Rokoko-Vintage-Verwechselspiel in eine Selbsthilfegruppe besagter anonymer Opernabhängiger zu versetzen, zündet einen Funken nach dem anderen. Man könnte wohl Einwände dagegen erheben, eine hierzulande selten gespielte Oper so gefinkelt um die Ecke zu inszenieren statt erstmal geradeaus. Aber man hat doch, hohe Kunst, parallel zur irren Therapiesitzung stets vor Augen, wie das Bühnengeschehen im Figaro-Retro-Style aussähe.
Und für Freunde des gepflegten Sevillaner Kostüms gibts ja das digitale globale Operndorf (hier mit einer vielversprechenden jungen Sängerin):
An der Staatsoper aber ist es auch deshalb ein Riesenvergnügen, weil Tcherniakovs Personenführung erste Mascarpone ist. Und weil die Sänger fabelhaft mitspielen. Dass das fast alles elternsprachliches Personal ist, sorgt darüber hinaus für durchgängig großes Stimmenglück. Da sind der helle Tenor von Bogdan Volkov und der jugendliche, kraftvolle Sopran von Nina Minasyan einerseits, andererseits der glühende Mezzosopran von Anna Goryachova und dieser Bariton von Andrey Zhilikhovsky, der wippend Virilität in Witz verwandelt: zwei wunderbare „junge Paare“. Dazu kommen der wirklich fischhändler-buffeske Bass von Goran Jurić und die Zuverlässigkeit des Baritons Lauri Vasar und des Tenors Maxim Paster in zwei kleineren Rollen. Als Bühnenerscheinung ragt natürlich die selbstironische Matrone von Violeta Urmana heraus: die Amme, die sich listig den eitlen Fischhändler angelt. Der einzige Fremdsprachler Stephan Rügamer als betrogener und zugleich erlöster Herr Papa glänzt mit doppelter und dreifacher komödiantischer Präsenz – und herrlicher Trompeten-Einlage.
Prokofjews so motorische wie melodische Musik treibt das Buffo-Stück mit seinen exzellenten Dialogen prima voran. Köstlich instrumentiert alles, für Harfistin und Tubist müssen das Höhepunkte des Arbeitsjahres sein. Der russische Dirigent Alexander Vitlin, der die Verlobung ein Jahr nach der Premiere von Daniel Barenboim übernimmt, komplettiert den Eindruck höchster Fachkundigkeit an diesem Abend. Das Stück müsste eigentlich ein Renner im Staatsopern-Repertoire sein. Stattdessen gibt es für die vier weiteren Aufführungen in den Weihnachtsferien (28. und 30.12. sowie 2. und 4.1.) noch reichlich Karten. Großes Glück für alle, die keine Lust auf mäßige Traviatas, lustlose Nabuccos und trübe Zauberflöten mit schwatzenden und knipsenden Touristen haben.
Nachtrag: Am 2. Januar nochmal dagewesen. Wieder ein riesiges, intelligentes Vergnügen! Hoffentlich nicht zum letzten Mal.
Bericht von der Vorstellung am 2.1. bei Schlatz
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Aber hallo, lustlose Nabuccos? Mit Frau Pirozzi?? Anch’io dischiuso!!!
Ja, mir hat die Inszenierung besser als bei der Premiere gefallen. Wobei ich russisch sprechendes Buffopersonal in Sevilla immer noch gewöhnungsbedürftig finde.
Ich will ja keine bestimmten Nabucchi schmähen, höchstens das Phänomen an sich!
Das Russisch in Sevilla finde ich besonders reizvoll…