In kluger Vorsorge offenbar hat der Meister schon zu Lebzeiten an #BTHVN2020 gedacht und sein Streichquartett-Schaffen so angelegt, dass es sich zyklusfreundlich portionieren lässt: je 1 Früh-, 1 Mittel- und 1 Spätwerk geht sich ganz gut aus (nur zwei Termine müssen eins auslassen bei insgesamt 16 Quartetten). Das Belcea Quartett, das jetzt im Pierre-Boulez-Saal den gewiss nicht schlechtesten Quartettzyklus dieses längst angebrochenen Beethovenjahrs in Überlänge begonnen hat, macht es sich dann aber doch ein bisschen pfiffiger.
Thrill hat’s nämlich schon, wenn man das Mittelwerk an den Schluss und das Spätwerk in die Mitte setzt, wie im ersten Konzert am vergangenen Freitag. Statt der frühwerklichen originellen Überraschungen hört man dann noch vor der Pause im F-Dur-Quartett opus 135 von 1826 dieses krasse Aufeinandertreffen von Heterogenstem – das dann doch so etwas wie eine höhere Ordnung ergibt, irgendwie, worin auch immer; im späten Menschen LvB vielleicht oder im Hörer, der noch nicht weiß, wie spät es wohl für ihn selbst ist. Das Lento assai aus Opus 135 ist ja wirklich eine Kandidatin für das schönste, traurigste Stück der Welt. Die Belceas spielen es derart fragil, als wandelten sie am Rande der Welt. Die Schreie im Finale aber (Der schwer gefasste Entschluss) schneiden einem das Herz mitten entzwei, und bei so viel Entsetzen ist es nur verständlich, dass das allererste Es muss sein fast zu affirmativ hineindrückt.
Das Rasumowsky-Quartett in e-Moll op. 59, 2 thrillt danach, weil man nun noch einmal in jene Welt zurückkehrt, in der das Kämpfen noch geholfen hat und das heroische Ringen zu Triumphen führte. Nachdem man zuvor das Spätwerk gehört hat, wirkt das mittlere wie portrait of the dead artist as a strong man. Immer ist man hier gewiss, selbst in Schmerzen, dass alles zum „richtigen“ Ende kommen wird.
Im zweiten Konzert des Zyklus, am Sonntag, steht dann ein Spätwerk allein einem Frühwerk gegenüber. Und keineswegs nur, weil das bei der Gesamtzahl 16 nach Adam Riese auch mal sein muss, sondern weils passt. Auch den zentralen Heiligen Dankgesang des a-Moll-Quartetts opus 132 spielt das Belcea Quartett, als ob es diese Musik vielleicht gar nicht gäbe. Gänsehautigst die überirdische Wirkung des armseligen Kirchenharmoniums (wie es Konzertgängers Frau nonchalant-einsichtsvoll bezeichnet), wenn die Streicher vibratolos leere Saiten streichen, beinah ohne sie zu berühren. Und doch ist man ja dauernd perplex, wie einfach, wie überaus kunstvoll einfach dieser Satz zugleich ist (der übrigens eine gewisse Rolle in einem demnächst erscheinenden Beethoven-Roman spielt).
Und perplex ist man auch über dieses erdige Alla marcia, das dem Dankgesang folgt. Kein Bock auf Weltabschied, Spätwerk hin oder her. Insofern ist auch das jenseitsvisionäre Encore of the Late Benjamin Britten, welches die Belceas noch zugeben, etwas problematisch und vielleicht nicht in Beethovens Sinn. So interessant und ergreifend es ja zu hören ist.
Wohl aber hat das einleitende Frühwerk gepasst, das Streichquartett B-Dur opus 18, 6 mit dem La Malinconia-Schlusssatz, in dem Krankheit und neue Kraft noch formelhafter tönen, aber eben auch formelvollendet. Vollendet klingt auch das Spiel des Quartetts. Dabei ist es wunderbar, dass die mutigen vier Belceasten sich nie im wunderschönen Ton verlieren, was ja zumal der Namensgeberin Corina Belcea ein Leichtes wäre. Im D-Dur-Quartett op. 18, 3, mit dem der erste Abend und somit der ganze Zyklus eröffnet, wähnte der Konzertgänger übrigens noch Gelegenheit, der Primaria mal ein Augenblickchen lang auf die sehr schönen, luftig beschuhten Zehen zu starren, wie es doch gewiss auch der große Meister getan hätte, denn das gehört ja zum Sichdelektieren dazu; und sprechen wirs aus, Corina Belceas Zehen sind einfach etwas anderes als Ignaz Schuppanzighs Wurstfinger; aber dann intoniert Frau Belcea doch immer wieder derart zauberhaft und ist das Zusammenspiel des Quartetts derart fabelhaft und dieses Opus 18/3 derart originell und gehaltvoll, dass man seinen festen Vorsatz vergisst, sich in Äußerlichkeiten zu verlieren.
Klingen diese, zumal die späten, Quartette beim Belcea Quartett vielleicht zu perfekt, zu schön, wie der Kritiker von rbb Kultur moniert? Hm. Hier so nicht empfunden. Und vielleicht gibt es ja doch verschiedene Wege zu Beethoven; auch und gerade zum späten.
Das Belcea Quartett setzt seinen Zyklus mit je zwei Konzerten im Februar und Mai fort.