Inselig: ECHOES OF SILENCE und Ensemble Musikfabrik

Alles ist anders derzeit, aber manches doch wieder gleich: zum Beispiel, dass zum Kultursaisonstart nicht nur das Musikfest in der Philharmonie stattfindet, sondern auch der Monat der zeitgenössischen Musik. Der dauert angemessenerweise gleich 35 Tage. Er findet auch im Rahmen des Musikfests statt, zum Beispiel mit Konzerten des Ensemble Musikfabrik, aber vor allem über die Stadt verstreut: wie in dem ambitionierten Projekt ECHOES OF SILENCE letzte Woche in der St. Elisabeth-Kirche, einer der Schinkelschen Vorstadtkirchen, die heute als Kulturraum genutzt wird.

Auf zu jenen fernen Inseln, wo die wilden Klangkerle wohnen

Sehr passend ist dieser entkernte Raum, in dem trotz jahrelanger Sanierung die Spuren der Kriegszerstörung bewusst erhalten wurden. Denn Echoes of Silence ist ein materialreiches, offenbar gründlich recherchiertes Projekt, das in ein hierzulande wenig bekanntes Kapitel der Geschichte eintaucht: das Schicksal griechischer Partisaninnen nicht nur während der nazideutschen Besatzung, sondern auch in den Jahren nach 1945, als sich die Widerstandkämpferinnen – eben noch nationale Heldinnen – als gefährliche Linke erneut verfolgt fanden. Viele wurden auf griechischen Inseln interniert (ein Schicksal, das übrigens auch einen gerade gestorbenen berühmten Mann traf, den Komponisten Mikis Theodorakis). Die Stimmen einiger dieser mutigen, leidgeprüften Frauen bilden den roten Faden des Abends, der sich allerdings nach dem Prinzip der Fadenspaltung in diverse labyrinthische Räume und Zeiten verzweigt. So werden sich wiederholende, beinah ikonische Sätze der Widerstandskämpferinnen mit heutigen Aktivistinnen in Berührung gebracht, etwa einer Flüchtlingshelferin auf Lesbos. Dazu erklingen atmosphärische Klänge des Komponisten Eleftherios Veniadis ebenso wie griechische Partisanenlieder. Der Gitarrist Seth Josel und der Perkussionist Alexandros Giovanos begleiten die Sopranistin Claudia van Hasselt, musikalisch ist das alles sehr ansprechend.

Und auch inhaltlich gelingt vieles: Die Begegnung verblichner Partisaninnenfotos mit feministischer Street Art im heutigen Athen wirkt völlig plausibel. Und wenn man von den mit-internierten Kindern in den Lagern, etwa auf der Insel Trikeri, und deren früher Vertrautheit mit dem Tod hört, bricht es einem fast das Herz. Und nötigt Bewunderung ab, wie sich dort standhafte Herzen eben nicht brechen ließen.

Die musikalische Konzentration und der große Ernst und Respekt der Sache nehmen ein. Storytelling in music, nennen die Künstlerinnen von FrauVonDa ihr Anliegen. Ganz frei ist es an diesem Abend allerdings nicht von der Gefahr, dass die stories auf der Strecke bleiben – nicht durch Musik, sondern durch Tendenz zur Überkonzeptualisierung. Dann drohen die eigenen künstlerischen Ansprüche die Themen und Geschichten der Protagonistinnen zu überlagern, durch allzu raffinierte Verzweigungen oder auch durch (weniger plausible) interaktive Elemente, in denen das Publikum den Fortgang des Abends bestimmen soll. Doch lohnend ist der aufwändige Abend allemal. / Zu Echoes of Silence

Völlig auf Klang und Musik konzentriert sind dagegen zwei Konzerte, die das Ensemble Musikfabrik am Sonntag in der Philharmonie gibt. Das zweite, nachmittags, ist Enno Poppe (*1969) gewidmet, das erste, vormittags, der 1983 geborenen irischen Komponistin Ann Cleare. Nicht auf griechische, sondern bewusst auf die irische Insel führt ihr Werk Fossil Lights, das hier unter Leitung des eingesprungenen Dirigenten Aaron Cassidy uraufgeführt wird: der späte Widerschein unzähliger ritueller Feuer, die einst von den Midlands aus die gesamte irische Insel mit spiritueller Energie versorgt haben sollen. Das Gedankenspiel der flackernden und versteinernden vorgeschichtlichen Lichter bewegt sich durchaus anregend im Kopf, während man dem Quartett von Klarinette, Geige, Cello und Klavier zuhört.

Noch interessanter wirkt das erste von fünf Stücken, das Bläserquintett mire/…/veins von 2013, in dem es knarzt und fern wispert, schnappt und stöhnt; oder auch beschwipste Hummeln über den Nürburgring trudeln. In ore von 2016 hingegen nähert die hohe Klarinette sich gelegentlich der Region jenes Tinnitus-Höllenkreises der Divina Commedia, wo jene Lehrer und Mitschüler landen, die einst ihre Nägel über die Tafel oder ihre Messer über die Kantinenteller ziepen ließen.

Auf erläuternde Exposés gepfiffen und dafür Augen zu, Ohren gespitzt, kann man bei solcher Musik nur sagen (analog zum guten alten Schweigefuchs, der in unseren Kindergärten allerdings wegen seiner optischen Nähe zum Handzeichen der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe etwas außer Mode gekommen ist): Dann visualisieren sich hörend vielleicht Naturprozesse, die sonst unsichtbar bleiben oder die es gar nicht gibt; oder schrullige Szenen aus Monty Python’s Flying Circus. In der ganzen Klangfrickelei tut allerdings auch die gewisse Härte manchmal ganz gut, in der sich die akustischen Energien in on magnetic fields von 2011 manchmal zu entladen scheinen: Stromschläge auf Saiten der Streicher, des Klaviers, der Harfe. Nur gelegentlich könnte man mit der Frage hadern, worin eigentlich die Zukunft solcher kompositorischen Tüfteleien bestehen mag, und für wen. Das anwesende Publikum mutet wieder mal großteils innerbetrieblich an. Und natürlich ist Großer Saal der Philharmonie Sonntagvormittag falscher Raum und falsche Zeit für solche Klangvisionen, die man, andernorts, nachts um elf wohl anders als morgens um elf hören würde.

Und dann gibt es eben doch solche zeitgenössische Musik wie die von Enno Poppe, die frei von Trivialitätsverdacht ist und bei der man als Hörer doch ohne Hürde mitgehen mag. Fast eine Stunde dauert seine Prozession für großes Ensemble. Vier Schlagzeuge begleiten und strukturieren das Vorgehen, in dem Bläser und blubberndes E-Piano immer wieder Assonanzen bilden, die fast an Orgelklang erinnern, ja an verhangene Kirchenglocken. Dabei ist das Klangbild stets klar und schwiemelfrei, über eine große Ballung in der Werkmitte hinweg. Es ist eine begeisternde Hörerfahrung, bei der man halb mitprozessiert, halb sich mittreiben lässt.

Zu den Ensemble Musikfabrik-Konzerten mit Ann Cleare bzw Enno Poppe

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