Lachendes Löschen von Leuchte und Lebens Licht statt Adventskerzlein-Anzünden. Zum meteorologischen Winteranfang, Welt-AIDS-Tag und Jour des Heiligen Eligius, der widerspenstigen Pferden die Füße ausriss und fertig beschlagen wieder anheilte, nimmt die Deutsche Oper Berlin Richard Wagners TRISTAN UND ISOLDE wieder auf, in der ziemlich kontroversen Inszenierung von Graham Vick, die für Regieverächter auch ein dramaturgisches Raufen, Rupfen und Zupfen von Extremitäten ist, für den Konzertgänger jedoch – ja, fast ein Wunder.
Ein statisch-morbider Fünfstünder ist das ja, in dem die Erhebung des hier stets wohlbeleibten Tristan-Interpreten (früher Peter Seiffert, diesmal Stephen Gould) zum markerschütternden Move des ersten Akts wird. Tja, schon Wagner nannte’s „Handlung in drei Aufzügen“, hier changiert sie zwischen Archetypen wie umherwandelnder nackter Frau und Heldin im Zwangsbrautkleid. Ist diese Nackte die tote Mutter des Helden, ist sie gar Eva, der ein ebenso nackter Adam im zweiten Aufzug das Grab schaufelt? Sicher ist nur, dass über allem eine mysteriös glockige Wärmelampe schwebt und sich auch mal bedeutungsvoll senkt. Der allgegenwärtige Sarg aber, an dem anfangs ein Kind sitzt, wer liegt da drin? Eine aktuelle Twitter-Umfrage vermag diese Frage anscheinend nicht zu klären.
Und, logo, bleibt dieser Sarg ein Signifikant so offen wie ein frischgeschaufeltes Grab. 2016 und 2018 war der Konzertgänger zuletzt in Vicks Tristan und hat drüber geschrieben, wer mag, kann klicken, das soll jetzt nicht alles wiederholt werden. Aber ergänzt, dass hier immer wieder depressiv-betörend schöne Bühnentableaus entstehen, die man sich als Gemälde an die Wand nageln möchte; etwa das Schlussbild des zweiten Aufzugs.
Vick scheint als Regisseur fast schrullig letalitätsfixiert, er hat an der Deutschen Oper auch Brittens Abkratz-Werk Death in Venice und Georg Friedrich Haas‘ Über-die-Wupper-Gängnis Morgen und Abend inszeniert. Aber es ist ungeheuer berührend, wie ernst Vicks Tristan voller todtrauriger Anzugträger den Tod nimmt, den echten, nackten Tod. Dieses triste Seniorenheim im dritten Aufzug, der Held im Bademantel mit zitternder Parkinson-Hand, die auf den Sarg zeigt, als der (wie alle Personen) in der zweiten Pause heftig gealterte Kurwenal dem Herrn sein Kareol anpreist: dein das Haus. Wagners göttlich-ewiges Urvergessen begegnet uns hier im Reich der Demenz, im Haus der Schildkröten (so hieß mal ein Altersheimroman von Annette Pehnt). Das ist furchtbar beklemmend und furchtbar schlüssig. Und eben ergreifend. Wie auch schließlich der Abgang Isoldes in jenen Raum hinter Glas, wo die gewesenen Menschen wandeln, inklusive einer schwangeren Frau. Tristan ist schon vor Isoldes Auftritt kapores gegangen, sein letztes Isolde hören wir nur mehr aus dem Off. Und da mögen einige Opernbesucher Näschen rümpfen über Regiesperenzchen, wie sie wollen, der Konzertgänger kann das alles nicht mitansehen und hören, ohne Rotz und Wasser zu plieren.
Plieren, jawohl. Weils aber doch auch ein gar so schöner Tristan ist. Nach Jahren des Zauderns (ob der nicht zu zahm sei?) ist der Konzertgänger jetzt sehr pro Stephen Gould. Nicht zuletzt auch nach Goulds famosem Bayreuther Tannhäuser im Sommer. Die traumhafte Sicherheit dieses vielleicht sanftesten Heldentenors, das ewige Quäntchen Melancholie in dieser Stimme. Goulds todfalbes was du frägst, das kannst du nie erfahren am Ende des zweiten Aufzugs lässt tatsächlich keine Frage mehr zu, bzw überlässt alle Antworten endgültig der Musik. Den dritten Akt bewältigt Gould in imponierender Klarheit. Hier könnte man freilich, wenn man wollte, eine gewisse Lauheit einwenden, eine Abholdnis gegenüber dem Äußersten, Extremen.
Verglichen mit Nina Stemme nämlich. Die Kombination der beiden Stimmen ist nicht immer einwandfrei, im zweiten Akt Stemme gegenüber Gould mitunter wohl zu laut. Und gewiss ist Stemmes Isolde nicht frei von Härte, gelegentlich sogar schrill, insgesamt wohl etwas über den Zenit hinaus; aber eben längst noch nicht über den Jordan. Im Orgasmischen überwältigend, im Lyrischen bestrickend. Wie Stemme im Liebestod mit dem Weltatem atmet, ist immer noch ziemlich konkurrenzlos. Und Grundgütiger, wie sie da im ersten Aufzug dem Brautgeiselnehmer Tristan über die Schulter ins Ohr zischt: Knecht – das zeigt, dass die krassen Kleinigkeiten die großen Isolden machen.
Der Dirigent Donald Runnicles ist wohl kein Zauberstabhochspringer wie Barenboim oder Thielemann, aber doch wieder mal ein wohlsortierter Mischklanghändler. Theatermusiker durch und durch, die Streicher klingen ausgesprochen schön und effektvoll, ebenso das, nur gelegentlich hereinkieksende, Holz. Allein Runnicles‘ Freude am allzu knalligen Klang macht es den Sängern manchmal nicht leicht. Hektisch, fast gehetzt wirkt zunächst Daniela Sindrams Brangäne, die sich dann im Weiteren aber doch als vorzüglich herausstellt – bis hin zu dem Kunststück, dass Sindram ihre Stimme im dritten Aufzug, dem Seniorenheim-Akt, zwanzig Silberjahre gealtert klingen lässt. Geradezu sensationell scheint der Kurwenal von Martin Gantner. Das ist der mit Abstand beste, den der Konzertgänger in den letzten Jahren (in Berlin, Bayreuth und Leipzig) gehört hat, eine erzgenaue Gestaltung ohne jeden Anflug von Kurwenalbellen; selbst das Heia im letzten Aufzug wird zu einer musterhaft ausgeführten Figur.
Und Ante Jerkunica als König Marke, der klingt hier vielleicht etwas sehr jammerknopfig, aber eine schöne dunkle Stimme ist das, Kakaogehalt 95 Prozent. Kein Tristanbericht vom Konzertgänger aber ohne die finale Bemerkung, wie ihn dieser angeklebte Markemonolog immer stört. Dieses fünfte Rad am Sängerwagen interessiert einen doch, seien wir ehrlich, ebensowenig wie der verliebte Verräter Melot (Jörg Schörner macht den ebenso gut, wie es fein ist, den betagten Peter Maus als Hirt zu hören). Es ist doch ein allzu epischer Rückfall aus der Tagwelt, diesem Traum von Ehre und Traum von Schmach, den die in Liebe und aus der Zeit Gefallenen bereits am Ende des ersten Aufzugs als Schein erkannt haben. Und wir mit ihnen.
Dass Jerkunicas schwarzschöpfiger Marke im allseits gealterten dritten Akt aber ganz erkahlt wiederauftritt, das ist dann doch eine sehr nette kostümbildnerische Idee. So lustig wie in diesem unhaarigen Moment blicken wir den ganzen Abend lang nicht ins offene Grab.
Nachtrag: Auf die erheblichen (und Sängerkräfte sparenden) Striche im zweiten Aufzug weist Anton Schlatz hin. Große Teile der Tag-Nacht-Erörterung weg, wohl nicht so unüblich, dennoch … also doch nicht nur durch spontanes Zwischennickerchen verpasst.
Tristan und Isolde gibts an der Deutschen Oper nochmal am 8. Dezember, dann wieder (mit Iréne Theorin statt Stemme, hm) am 24. und 31. Mai 2020.
Habe vielleicht etwas zu negativ geschrieben, was Vick betrifft. Ich kann mir vorstellen, dass die Aufführung gewinnt, wenn man sie regelmäßig sieht.
Wenn ich hier vom „verliebten Verräter Melot“ lese: Es geht mir jedes Mal auf den Senkel, dass Tristan Melot im 2. Akt bloßstellt. Das ist kleinkariert und rachsüchtig. Tristan angelt sich die Frau des Königs und wirft dem armen Melot Verliebtheit vor.
Jetzt auf dem Sofa finde ich das schluffige Hereinschlurfen von Marke und Melot nach der Liebesnacht immer noch eine der Enttäuschungen der Inszenierung. Und das stilllebenhafte Herumlungern im 3. Akt ist auch schwer zu akzeptieren. Aber wie gesagt, mag sein, dass man dies – wie auch die zahlreichen Anspielungen – bei wiederholtem Sehen schätzen lernt. Sehenswert ist dieser Tristan schon.
Habe es doch in den dritten Akt geschafft. Die Produktion sehe ich deutlich skeptischer als vor einigen Jahren. Bin mir noch nicht ganz sicher, was die Bewertung angeht. Runnicles hat mir so gut gefallen wie noch nie. Ich werde noch zu einem Groopie. „angeklebte Markemonolog“… Ts… Also echt
Meine Bewunderung für die sportliche Sitzleistung :)))