Salve serva! Eine aparte, aber authentische Mischung gibts in diesem glänzenden Konzert des Freiburger Barockorchesters im Kammermusiksaal: geistlich und frivol, vom Allerheiligsten bis zur Ur-Mutter aller Buffo-Opern. Und alles daran ist Giovanni Battista Pergolesi: dreimal waschechter, einmal waschfälschlicher.
Lange galt nämlich das eröffnende Concerto armonico Nr. 5 f-Moll als originaler Pergolesi – wie so manches. Von den 150 Werken der Pergolesi-Gesamtausgabe dürften 50 bis 90 Prozent von anderen Komponisten stammen, erfährt man in der Einführung Star und Trendsetter von Florian Hauser (bei welcher Gelegenheit man wieder feststellt, dass das FBO stets die lesenswertesten Programmhefte mitbringt, so fundiert wie angenehm lesbar). In Wahrheit stammt das Concerto von einem Graf van Wassenaer, der von 1692 bis 1766 lebte, also fast dreimal so alt wurde wie der arme Pergolesi (1710-1736). Und er trug den schönen Vornamen Unico Wilhelm, den man sofort auf Prenzlberger Spielplätzen hören möchte.
Das Concerto ist wunderbar, mit einem innigen, mit Dämpfern gespielten A tempo commodo und fast grimmigen Riffs im Schlusssatz. Das klingt (bei einmaligem Hören) glatt aufregender als der erste echte Pergolesi dieses Abends: das Concerto B-Dur, in dem der Konzertmeister Gottfried von der Goltz mit einem vertrackten Violinpart von corelliartiger hakeliger Geschmeidigkeit brilliert.
Erst 10, dann 18 Musiker in den beiden Instrumentalstücken, nur Streicher und Basso Continuo, so bleibts den ganzen bläserfreien Abend. Von der dynamischen Körpersprache des Freiburger Barockorchesters könnten sich einige Berliner Musiker mal ein Scheible abschneiden.
Aber ob Original oder Kopie: Alles nur Vorgeplänkel und roter Teppich für die famose Sopranistin Sunhae Im! Die bezaubert erst in keuscher Jungfräulichkeit, dann mit schlaudreister Erotik den Kammermusiksaal. Im weißen Kleid und mit gebenedeiter Stimme singt sie Pergolesis Salve Regina c-Moll. Wie die Farbwerte wechseln auch die Temperamente in ihrer Interpretation, ganz versunken, dann bald langgezogene, bald gestaucht bebende clamamus-Rufe; und im Eia ergo, Advocata nostra hört man keine servile Bittstellerei, sondern energisches Verlangen, ja Fordern.
Und das schlägt irgendwie schon den Bogen zu La serva padrona, die als Intermezzo per musica gelabelt ist, aber tatsächlich Opera buffa in a nutshell. Zwei Personen, fünfundvierzig Minuten, Tumult und Heiterkeit. Intermezzo, weils als Zwischenspiel einer tiefseriosen Oper vor dem Vorhang lief, damit das Publikum während der Umbaupause nicht vor dem Gestank von anderthalb Zentnern abbrennenden Kerzen aus Rindertalg vulgo Unschlitt flüchtete (wie gesagt, die so informativen wie unterhaltsamen Programmhefte). Dem Publikum taugte es mehr als die Hauptsache mit etwelchen KönigInnen und PrinzEssInnen. Eine dreiste Dienerin, die ihrem ältlichen Herrn auf der Nase herumtanzt und ihn, als er sie schließlich vor die Tür setzen will, listig in den Ehehafen lockt. Dabei wollte er doch nur eine heiße Schokolade!
Sunhae Im trägt als Serpina nun kein keusches Weiß mehr, sondern schulterfreies Gold und schwarze Spitze undsofort und ist in jeder Bewegung von solchem Reiz, dass man sehr mit dem alten Uberto fühlt, der fast den Herzkaspar kriegt. Aber das Erotischste ist Sunhae Ims Stimme. Hier keine großen Koloraturereien, sondern rasante kleinteilige Melodik. Überhaupt zeichnet sich die Musik, zwischen einigen herrlichen Arien und Duetten, durch einen irrwitzigen Parlando-Ton aus.
Furio Zanasi ist der perfekte Gegenpart: So natürlicherweise in der Bühnenwelt (und wohl auch in der richtigen) der Mann der Frau hoffnungslos unterlegen ist, so ebenbürtig ist Zanasis Uberto dem Bühnentemperament von Im. Und zwar gerade nicht, indem er in groben Zügen die schrullige Witzfigur abgibt, sondern durch Understatement und Differenzierungskunst. Das gilt sowohl stimmlich (ein so schlanker wie flinker Bariton, den Zanasi außerordentlich fein führt) als auch darstellerisch.
Eine szenische Umsetzung gibts auch, ziemlicher Larifari, wie es mit halbszenischen Umsetzungen meist ist. Da müsste doch viel mehr in Andeutungen geschehen statt in notdürftigem Klamauk. Aber die komödiantischen Talente der beiden Sänger lassen das ganz nebensächlich erscheinen. Und am heftigsten rattert in dieser vergnügten, genussreichen Dreiviertelstunde sowieso die Kopf-Opera-buffa: Was wäre gewesen, wenn der arme Pergolesi nicht 1736 gestorben wäre, sondern 1763 oder gar 1796?