Trotz (Binnen-)Seejungfrau, Prinz und Genrebezeichnung Lyrisches Märchen sollte man seine Tochter im Grundschulalter eher nicht zu Rusalka mitnehmen. Antonín Dvořáks krasse Mischung aus Tragödie, Passion und Horrorfilm könnte in ihrer zarten Seele einen Schreck bis ans Ende aller Tage hervorrufen. Andererseits gibt es ja nützliche Dinge, die man im Leben nicht früh genug lernen kann: äußerste Liebesverzweiflung etwa und innigste Todessehnsucht. Außerdem endet Barrie Koskys Inszenierung der Rusalka von 2011, die jetzt an der Komischen Oper wiederaufgenommen wurde und bis Weihnachten noch fünfmal zu sehen ist, in einem Schlussbild, das sich auf Lebzeit in die Seele einbrennt. Wie die verfluchte Nixe sich selbst den Angelhaken des Geliebten, den sie getötet hat, in den Mund legt, wird kein Zuschauer je vergessen.
Das Angelbild ist so bizarr wie eindringlich und in dieser merkwürdigen Welt des fischigen Liebestods auch dinglich schlüssig. Im hellen theaterstucksteinernen Bühnenbild (Klaus Grünberg) ist den ganzen Abend lang kein Tropfen Wasser zu sehen, dafür Rusalkas Schwanzflosse und immer wieder Fische. Da wird gehackt, entgrätet und gekocht, dass es nicht nur für Veganer ein Albtraum ist. Denn es ist (und das macht Rusalka zu einem echten Märchen, keinem Disney-Verschnitt) eine von Anfang an boshafte und feindliche Welt, in der die Nixe Liebe sucht und Leiden findet. Im dritten Akt wird ihr Irrweg zu einer unerbittlichen Passion, wie es sie sogar in der Oper selten gibt. Das starre Bühnenbild gerät da durch Licht- und Schattenspiele in schwindelerregende Bewegung. Kaum zu fassen, wie viel Tiefe eine Vorbühne haben kann.
Gesungen wird auf Deutsch, was der Konzertgänger ein wenig bedauert, weil das Tschechische so schön ist. Aber Dvořák ist ja nicht Janáček, wo das wirklich wehtäte, und die Handlung lässt sich so natürlich besser verfolgen. Die deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze ist knackiger als die verstaubten Übersetzungen des dubiosen Librettos von Jaroslav Kvapil, die man im Internet findet.
Die Titelrolle wurde bei der Premiere von Ina Kringelborn gesungen, die vor einem Jahr entsetzlich jung verstarb. Sie ist auf den Bildern des Programmheftes zu sehen und wird von der Komischen Oper, sehr berührend, weiterhin als Ensemble-Mitglied gelistet. Hier ist sie noch im Trailer der Rusalka zu sehen und zu hören:
In der Wiederaufnahme ist nun die Sopranistin Nadja Mchantaf, Ensemble-Mitglied der Semperoper, die Rusalka: darstellerisch wie sängerisch begeisternd voll kindlicher Freude, kindlichen Unglaubens und mit einer großen stimmlichen Spannbreite, von elektrahafter Kraft bis zu zerbrechlichster Zartheit, wenn sie haucht: warum sterb‘ ich nicht? Mondlied wie Irrlicht-Arie bestens.
Dagegen ist der Prinz, ohnehin eine blasse Figur, natürlich chancenlos, aber der walisische Tenor Timothy Richards gleicht gewisse physische Grenzen seiner Stimme durch noble Expressivität aus. Nadine Weissmann ist eine weise, fiese, textverständliche Hexe Ježibaba. Die Fremde Fürstin Ursula Hesse von den Steinen klingt so diabolisch sexy wie sie aussieht, auch und gerade in gewissen schrillen Momenten. Herausragend sind (neben Mchantaf) der norwegische Bass Jens-Erik Aasbø als Wassermann, der mächtig klingt und doch die Ohnmacht in Person ist, und das grandiose Waldelfen-Trio Annika Gerhards, Maria Fiselier und Katarzyna Włodarczyk.
Dvořáks übersichtliche Leitmotivik deutlich zu machen, fällt dem Orchester der Komischen Oper unter Henrik Nánási natürlich nicht schwer. Das ist zwar manchmal etwas laut. Aber wie explosiv das wunderschöne, an Stilbrüchen reiche Gemisch aus typischem Dvořák-Ton, kuriosen Wagnerismen und einigen schon 1901 altbackenen Operngesten dabei klingt, ist packend: ein Feuerwerk der harten Kontraste. Bei einigen Süßlichkeiten ist der Konzertgänger ganz perplex, schostakowitschhaften Sarkasmus zu hören.
Diese Rusalka ist und bleibt definitiv ein Knaller. Und für die zuhause gebliebene Tochter im Grundschulalter gibt es ja die schicken Sawade-Pralinen, die man am Ausgang der Komischen Oper einstecken kann (und ab dem 6. November Peter Pan, da kommt auch der Sohn mit).
Weitere Vorstellungen am 21. und 30.10., 4. und 20.11., 22.12.
ich hoffe, das sie den hatte, ich hatte sie auch anders in Erinnerung. Aber ist ja, wie so oft, die erste Vorstellung ist meist nicht so…
Ja auf die freue ich mich wirklich, wäre aber wahrscheinlich für Ihre Tochter wohl auch noch ein bisschen zu früh, wegen der Inszenierung??
toll, freue mich schon, gehe am 30. hin. Hatte Sie mehr Spaß, als ich gestern in der Traviata. War belanglos, lange nicht so eine nicht berührende Traviata gehört. Trotz Dupuis, viel zu jung und Atilio Glaser. Frau Ciofi im e Strano, schrill, das es weh tat in den Koloraturen, später besser, aber nicht sehr berührend. Mir graut vor ihrer Valentine in den Hugenotten
Frau Ciofi hab ich gar nicht schlecht in Erinnerung, ist aber auch schon ein paar Jahre her. Vielleicht hatte sie nur einen schwachen Tag? Mal hören bei den „Hugenotten“, auf die ich jedenfalls gespannt bin.
Auf „Rusalka“ freuen Sie sich ruhig. Was auch immer man musikalisch (und akustisch) im einzelnen einwenden mag, auf jeden Fall ist es das Gegenteil von belanglos.