10.3.2017 – Verschollen: Poulenc & Janáček in der Werkstatt der Staatsoper

Aus einem großen Juwel sind zwei kleine Juwelen geworden: In der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater (wo es bekanntlich das interessanteste halbneue, neue und allerneueste Musiktheater aller Berliner Opern gibt) wurde das Doppelprogramm La voix humaine von Francis Poulenc und Tagebuch eines Verschollenen von Leoš Janáček wiederaufgenommen.

Jheronimus_Bosch_-_The_Pedlar_-_Google_Art_Project.jpgAber ist es überhaupt eine Wiederaufnahme? Verschollen ist nämlich auch Isabel Ostermanns (Regie) und Günther Albers‘ (Musik) ursprüngliches Konzept von 2014. Das bestand darin, die beiden Stücke nicht nacheinander zu geben, sondern ineinander geschnitten und teilweise sogar übereinander gelegt aufzuführen. Das war problematisch und teilweise nervig, hat aber insgesamt doch verblüffend gut funktioniert. Denn es gelang faszinierend, die beiden Stücke miteinander sprechen zu lassen: hier die Erinnerungen und die Einsamkeit einer Frau am Telefon, die ihren nie zu hörenden Geliebten verliert (Poulenc), dort die Erinnerungen und die Einsamkeit eines jungen Bauern, der aus Liebe zu einer Zigeunerin seine Heimat und Familie verlassen hat (Janáček).

An der Stelle von zwei Gehäusen mit isolierten und doch einander spiegelnden Existenzen steht jetzt ein einziges Gehäuse, in dem erst die eine, dann der andere einsam ist. Trotz kleiner Verzahnungen (der Mann erhebt sich langsam im Stück der Frau, die Frau singt eine kleine Traumrolle im Stück des Mannes) sprechen die beiden Werke jetzt weniger miteinander, sondern werden halt nacheinander aufgeführt. Wer die beiden Stücke überhaupt erst kennenlernen will, profitiert davon. Gerade für das Tagebuch eines Verschollenen gilt, was Michael Füting in seinem kleinen Janáček-Büchlein schreibt:

Es ist typischer Janáček: thematisch, formal, musikalisch das ideale Stück, sich mit seiner Musik und seinem Stil vertraut zu machen. Die Musik bauscht den Text nicht romantisch auf, sondern folgt der realistischen Sprechmelodie, erzeugt dabei aber immer wieder ganz kurz ganz große Gefühle.

Benedikt Kristjánsson ist der ideale Tenor, um ganz kurz ganz große Gefühle zu erzeugen. Seine warme, schmeichelnde Stimme trifft immer genau das rechte musikalische Maß und Melos dieses Liederzyklus. Kleine Inseln überwältigender Schönheit, ein Ohrenschmaus. (Und auch ein Augenschmaus, sagt die Frau des Konzertgängers, die ihn bereits als Evangelisten in der Matthäuspassion erlebt hat.)

Jetzt, da es für sich steht, fällt stärker auf, dass Poulenc dem natürlichen Sprachfluss des Französischen weniger Melos abgewinnt als Janáček dem Tschechischen, so dass das 40minütige emotionale Hin und Her im Einakter La voix humaine sich gelegentlich etwas zieht. Das liegt aber keinesfalls an der wunderbaren Juliane Banse, die das beeindruckende Porträt einer leidenschaftlichen, verängstigten Frau malt. Schön, dass eine so renommierte Sängerin die Werkstatt beehrt! Gelegentlich merkt man, dass sie größere Säle gewohnt ist als die enge Werkstatt: Wie fast alle Sänger in diesem Raum ist sie manchmal einfach etwas zu laut. (Dass sie ebenfalls ein Augenschmaus ist, fügt der Konzertgänger hinzu.)

Günther Albers begleitet das alles auf dem Klavier und zeichnet wohl auch für die kleinen elektronischen Einsprengsel verantwortlich, die die Atmosphäre der Einsamkeit und verschatteter Erinnerungsräume verstärken. Drei Damen vom Chor sind auch dabei (Caroline Seibt, Lena Haselmann, Verena Allertz).

Zwei weitere Aufführungen am Sonntag und Montag (12. und 13. März), 15 bis 20 Euro.

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