11.3.2017 – Linear: Vogler Quartett spielt Sven-Ingo Koch, Schubert, Schumann

wassily-kandinsky-schwarze-linienUnwahrscheinlich, wie weit ein fast frivol simpler Ausgangspunkt führen kann. Dieser Punkt ist die Linie: auf- und abwärtsführend, gezeichnet aus Ganztönen, Halbtönen, Vierteltönen, Achteltönen, auch brahmsschen Sexten, wie der Primarius des Vogler Quartetts in seiner Einführung zu Sven-Ingo Kochs Streichquartett Nr. 2 im Konzerthaus erläutert. Eine lockere Einführung, die hilfreiche Informationen liefert, aber mehr noch eine werbende Einladung zum offenen Hören ist. Denn klanglich erschließt sich das Stück unmittelbar – wenn man es seinen Ohren denn erlaubt: Mal flirrend durchsichtige, mal sehr warme Klänge entstehen aus den Linien, bald fragil, bald schwermütig, manchmal witzig, oft mystisch. Herzensmusik, nennt Tim Vogler das und  verheißt Viertelton-Ohrwürmer.

Bezeichnenderweise hat der Komponist Sven-Ingo Koch (eine sympathisch nerdige Erscheinung, dessen T-Shirt durchs Oberhemd leuchtet) sein Streichquartett nicht Linearität XVII oder dergleichen tituliert, sondern Von der Liebe zur Linie. Man kann seine Zeit übrigens schlechter verbringen, als sich durch die Hörbeispiele auf Kochs Webseite zu klicken. Nachtrag: Oder hier einen Auszug aus der „Liebe zur Linie“ zu hören:

Die treue Hörerschaft des Vogler Quartetts, nicht gerade das Stammpublikum von Donaueschingen, ist sehr bei der Sache; immerhin eine halbe Stunde dauert diese Uraufführung. Der nützlichste Resonanz-Indikator bei neuer Musik im „normalen“ Konzertbetrieb ist ja die Hustenlinie, und die verläuft hier (gemessen an dem, was man sonst so erlebt) dicht über der Stille. Zwischen zwei Sätzen raunt eine alte Dame einem alten Herrn zu: Die sind ja fantastisch. Meint sie die vier Streicher oder Kochs Linien? So oder so hat sie Recht.

Danach mit großer Liebe zu den romantischen Sehnsuchtslinien Robert Schumanns Streichquartett A-Dur op. 41, 3. Glutvoll, glänzend. Ob einen das  im Boulezsaal derart intensiv anspringen könnte wie im Kleinen Saal des Konzerthauses? Kaum auszuhalten die zehrenden und zährenden Beben des dritten Satzes Adagio molto.

Am Beginn des Abends stand Franz Schuberts Streichquartett Es-Dur op. post. 125 D 87, jede Linie gutgelaunt: ein fast frivol unbeschwertes Jugendwerk mit lustigem Schluckauf-Auftakt-Scherzo. Ja, ja, der Kindheit unschuldige und glückliche Spiele, wie der alte Gren in Kalle Blomquist lebt gefährlich sagt – kurz bevor er ermordet wird und eins der eben noch glücklichen, unbeschwerten Kinder seine Leiche entdecken wird. Das sind so die Linien des Lebens, diese Zukünfte hört der Konzertgänger auch beim jugendfrohen Schubert immer mit.

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