Warum war eigentlich dem Wildwest-Genre in der Oper kein Erfolg beschieden, obwohl’s im Film eins der erfolgreichsten wurde? Vielleicht, weil der „Wilde Westen“ doch ein zu männlicher Raum ist? Kein Zufall wohl, dass vor ein paar Jahren dann eine Brokeback Mountain-Oper recht erfolgreich war. Und möglicherweise hätte Benjamin Britten gute Wildwest-Opern schreiben können. Anyway: Gut, zum ersten Mal Giacomo Puccinis La fanciulla del West zu erleben. An der Bayerischen Staatsoper in München.
Das Wörtchen gold(en), das im englischen und im deutschen Titel vor den Westen gesetzt wird, fehle im italienischen Titel sehr, liest man in Wolfgang Ratherts sehr ergiebigem Programmheft-Plädoyer für dieses „unterschätzte Hauptwerk“: weil es den utopischen, den projizierenden Charakter dieser West-Vision betone. Aber, seien wir ehrlich, ein bissl grenzdebil wirkt das Libretto trotzdem mit dem Barmädchen Minnie und dem Räuber Ramirrez und der Indianerin Wowkle. Das Amerika-Flair durch ständige Hello!-Rufe machts nicht besser, hello ragazzi!
Andererseits: Dass der italienische Tenor (bei der New Yorker Uraufführung 1910 von Caruso gesungen) hier eine arme Wurst ist, die am Ende von der an das Gute im Menschen appellierenden Bibelvorleserin vom Galgen runtergeschwatzt wird – das hat ja was. Ein Schluss wie von einem Erbauungsstück im Theater der Heilsarmee.
Und auch wenn der Musik die großen Ohrwürmer fehlen, hat sie ihre Reize. Die unvermeidlichen Trinklieder der italienischen Opern (wie können diese verdammten brindisi nerven!) sind hier zum formlosen Whisky-Dauergebecher geworden. Wie es überhaupt Spuren der Auflösung gibt und einige Schärfen und Härten, die auf Turandot vorauszuweisen scheinen. Fast gewalttätig das Donnern, als im zweiten Akt die Seelenbegegnung von Barmädchen und Räuber endlich zur Begegnung der Körper wird.
Der Dirigent James Gaffigan scheint diese Härten betonen zu wollen, vielleicht tut er aber manchmal zu viel des Guten. Er scheint, das ist verständlich, derart begeistert von dem Bayerischen Staatsorchester, dass er sehr laut loslegt, was den Sängern in den ersten Szenen die Luft abschnürt. Das ist auch deshalb schade, weil der Reiz der Fanciulla auch darin zu bestehen scheint, dass hier so ein Parlando-Ton einzieht, ein Konversations-Sound; wenn auch nicht so konsequent wie bei anderen Komponisten um 1910. Im Lauf des Abends wird das Verhältnis von Orchester und Stimmen dann ausgewogener.
John Lundgren ist als verliebter Sheriff Jack Rance, der sich zwischendurch als Ehrenmann erweist und dann doch gruselig bleibt, ein eindrucksvoll dämonisch röhrender Bariton. Brandon Jovanovich, der den greinenden Bandido wider Willen gibt, ist ein angenehmer und schluchzfreier Tenor, auch wenn ihm vielleicht das gewisse Tröpfchen Rosenbalsamico in der Kehle fehlt. Aber seine Stimme findet sehr gut mit dem Sopran von Anja Kampe als Minnie zusammen. Die ist schon als Bühnenerscheinung toll, als keusche Jungfrau, die mit breitem Männerschritt im Saloon herumstapft, den harten Burschen Psalm 51 vorliest und später, als sie mit dem Sheriff um das Leben des Banditen pokert, die Karten im Rhythmus der vibrierenden Bässe mischt. Vor allem aber gestaltet sie, obwohl ihr Timbre nicht makelfrei erscheint, hochinteressant, eine Frau mit Brüchen und Lebenserfahrung. Fast hat man den Eindruck, dass sie mehr aus der Figur rausholt, als drinsteckt. Chapeau! Oder besser gesagt: Stetson!
Premiere dieser Inszenierung war im März, und die Regie von Andreas Dresen ist doch etwas enttäuschend. Vielleicht ist die selten gespielte Fanciulla nicht die geeignete Oper, um ihr ein drastisches Denkkonzept überzustülpen, aber etwas mehr Witz wäre schon dringewesen. Wunschvorstellung des Konzertgängers, der Sheriff würde wie John Wayne gehen und Minnie (wenn sie schon keine Maus-Ohren bekommt) sähe aus wie Schlumpfine, als Inbegriff der Frau allein unter Männern. Ein interessanter Regie-Ansatz hätte auch darin bestehen können, auf die Hintergründe der Entstehung dieser kuriosen Oper Bezug zu nehmen, ein auf Europa fixiertes Opernhaus-Amerika auf der Suche nach einer eigenen musikalischen Identität und das Stochern des Europäers im diffusen Mythos.
Na gut. Weder Humor noch viel Reflexion beim kreuzbraven Dresen. Hier sind die Goldsucher Minenarbeiter, wir sehen ein mit Stacheldraht befestigtes Camp und außerdem dies und das, was man als Filmregisseur so gehört hat, dass es an der Oper üblich sei: aufsteigender Trockennebel im Hintergrund usw.
So sind das Aufregendste an der Inszenierung … die schwarzweißen Fotos von Milton Rogovin im Programmheft! Die zeigen keine Proben, sondern porträtieren Minen-Arbeiter und -Arbeiterinnen (!) zwischen 1962 und 1987, jeweils einmal auf der Arbeit und einmal zuhause. Bilder von harten Leben und unverwüstlichen Träumen.