Gespreizt: Strawinsky animiert und :animated im Konzerthaus

Diese Reihe ist mehr als Absolut Iván Fischer! Zwar sind dessen drei Programme mit dem Konzerthausorchester (Bericht dazu unten), dem Concertgebouw und dem Budapest Festival Orchestra das Rückgrat und wohl auch der Anlass des Konzerthaus-Festivals Absolut Strawinsky! Aber rundherum ranken und spreizen sich speziellere und kleinere Formate: Es gab bereits Evenings am Kamin und ein live-elektronisch bereichertes Petruschka-Popuschka der Jungen Norddeutschen Philharmonie – darüber müssen Sie sich von anderen berichten lassen. Mit dabei war der Konzertgänger dafür bei der Geschichte vom Soldaten in einer Produktion des umtriebigen Podium Esslingen unter dem Titel strawinsky:animated.

Immer eine besondere, gar nicht so typisch konzerthäusliche Atmosphäre im schwarz-rosa-violetten Werner-Otto-Saal auf dem Dachboden überm Gendarmenmarkt. Auf der Bühne sieben Musiker, ein Schauspieler und ein Dirigent vor einer großen Leinwand – Frauenquote wie in der CSU oder im Knast: ein Neuntel. Dafür spielt Diana Tushchenko aber innerhalb der vortrefflichen Combo das wichtigste Instrument, nämlich die Geige, und zwar vorzüglich, über die der Soldat mit dem Teufel verhandelt und also der Höll sich verbandelt.

Die titelgebend beigesteuerte Animation illustriert die Instrumental-Passagen recht hübsch. Die Interaktion des Schauspielers Uwe Topmann mit den animierten Formen grünes Quadrat (Soldat) und rotes Dreieck (Teufel) ist dagegen weniger ergiebig. Nicht etwa, weils schlecht gemacht wär, sondern weil Topmann das einfach nicht braucht, wie er da quasi seelennackt mit unglaublicher Präsenz um Leben und Seele seiner Figuren spricht, spielt, hofft, leidet. Die geschickte Regie von Daniel Pfluger lässt den Darsteller mit einfachen Mitteln, aber immer ganz schlüssig die Musikanten und den Dirigenten Miguel Pérez Iñesta ins Spiel einbeziehen. Später tritt noch ein blauer Kreis ins Spiel, das ist die Tänzerin und Schauspielerin Isa Weiß, ebenfalls wunderbar.

Es fiedelt, rumst und sehnt sich, dass es eine Art hat. Entschlackte Klänge vom Sacre bis zu Schostakowitschs 20 Jahre später entstandener Lady Macbeth von Mzensk hört man in diesem reduzierten Musiktheater, das Strawinsky 1918 für eine Wanderbühne schrieb. Eine rundum gelungene Produktion, die es am Montag nochmal gibt.

Nicht :animated, aber sehr animiert ging es zuvor im Abo-Konzert des Konzerthausorchesters mit Iván Fischer zu. Der Konzertgänger war in der letzten Aufführung am Sonntagnachmittag. Igor Strawinsky pur, zu drei Vierteln Neoklassizistisches. Aber man lernt, dass das auch bloß ein Schlagwort ist und die gespreizte Haltung Neoklassizismus sich völlig unterschiedlich anhören kann.

Im Jeu de cartes muss der Hörer falschspielen, wenn er die Pokerregeln nicht kennt, nach denen Strawinsky sich 1935/36 diese Ballettmusik für die Met auszudenken geruhte. Aber ist Klassikhören nicht sowieso oft Falschspielerei? Eine hübsch gespielte, heitere Suite hier, nur gelegentlich muss man ein bissl eigene Kopf-Cartoons animieren, damit der rege Wechsel der Spielkarten-Tanzschritte einen gut zwanzig Minuten durchdivertiert. Iván Fischer dirigierwedelt à la Personalstil mit jenem typischen Handgelenksschwung, als schmisse er immer mal ein gezinktes As aus dem Ärmel. Und wenn die Bratscher beim Spielen lächeln und beim Pausieren Köpfe, Schultern, Fußspitzen mitwippen lassen, weiß man, dass es dem Orchester genauso viel Spaß macht wie dem Publikum.

Ein Falschspieler mag auch der Solist in Strawinskys Violinkonzert in D sein. Den einprägsamen „gespreizten Akkord“, der immer wiederkehrt, wollte der Erstgeiger Samuel Dushkin zuerst nicht spielen können, dann führte er das Werk aber doch urauf, anno 1931 beim Berliner Funk-Orchester (dem heutigen RSB). Der Konzerthausgast Renaud Capuçon aber will nichts nicht können. Er ist der einzige Frackträger auf dem Podium, Orchester und Dirigent tragen hier Anzug und Krawatte, und er steht beim Spielen öfter auf einem Bein als auf beiden, wie Charlie Chaplin auf dem Atlantikdampfer. Das schranzt und kantabelt und doppelgriffelt prächtig. Im ersten Satz hält das Holz dolle dagegen, und der außerordentliche dritte Satz führt uns quasi im Vorbeigehen die Mechaniken unseres eigenen Gerührtseins vor. Hinterlistiger Strawinsky.

Gut, das Strawinsky-Violinkonzert ein paar Tage nach dem Schönberg-Violinkonzert mit PatKop bei den Philharmonikern zu hören: zwei Werke, die auf spritzigste Weise die Tradition missachten, ohne sich von ihr zu verabschieden.

Die Ode von 1943 widmet das Orchester dem gestorbenen Michael Gielen. Schön, dass das nicht der Intendant mitteilt, sondern ein Bratscher aus der Mitte des Orchesters. Diese Ode, die Strawinsky in Boston fürs Andenken von Serge Koussevitzkys Frau Natalia schrieb, ist ein sinistres Triptychon, eine hoppelnd-hornende Jagdmusik spreizt sich da zwischen zwei statischen, skulpturalen Grabspruchsätzen: Trauermusik für misstrauisch-wache Geister, trotz oder gerade wegen der erstaunlich traditionellen Klagegesten in Solo-Violine, -Bratsche und -Cello im ersten Satz. Am Ende des dritten Satzes aber pendeln drei Flöten das Ende der Zeit aus.

Und schließlich spreizt der Feuervogel sein Gefieder, die zwanzigminütige Suite von 1919. Unter der Spannweite von dessen Flügeln scheint freilich der ganze spätere Neoklassizismus doch wieder klapperdürr, aber wie sollte das auch anders sein. Die Aufführung ist warm und brillant. Man höre nur die sich verschattendünnisierenden Streicher vor der immensen, mit dem Solo-Horn einsetzenden Schlussflatter!

Kritik zur ersten Aufführung desselben Programms am Freitag: Stagescreen.

Das Strawinsky-Fest geht noch weiter: Am Montag darf man sich entscheiden müssen zwischen der oben gelobten Geschichte vom Soldaten und dem hochedlen Concertgebouw, ebenfalls dirigiert von Iván Fischer, der am Mittwoch dann noch sein Budapest Festival Orchestra und den RIAS Kammerchor leiten wird.

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