Entmaskend: Hinrich Alpers spielt Klavier. In echt.

Maske: nicht korrekt

Vorsichtiges Wiedererwachen, noch unsicher mit den Augen blinzelnd. Das Publikum sitzt mit coronabedingtem Abstand und trägt Maske im Weddinger Pianosalon Christophori, der sich jetzt behutsam wieder ins Konzertleben wagt. Und auch das Programm des Pianisten Hinrich Alpers, der endlich wieder vor leibhaftigen Menschen auftreten kann, hält Abstand zueinander, von Beethoven bis Skrjabin. Und Maskenträger sind auch dabei, Ravel ohnehin masqué, aber irgendwie auch Schumann und Liszt.

Und doch ist da nix beliebig. Eigentlich hätte ein reines Beethovenprogramm angestanden, passend zum in die Binsen gegangenen Beethovenjahr. (Beethoven wird noch den geringsten Schaden daran nehmen.) Aber zur Feier des Tages hat Hinrich Alpers sich dann doch für einen weiteren Bogen entschieden: vier Komponisten, die vier Gründe seien – so erzählt der aus Uelzen stammende und in Berlin lebende Pianist eingangs -, warum er seinen Beruf ergriffen habe. Und die ihm in guten wie in schlechten Tagen die Hand gereicht hätten.

Maske: nicht korrekt

Im metaphorischen Sinn, versteht sich. Händeschütteln ist tabu natürlich. Nur siebzig Zuschauer durften nach Voranmeldung rein in den Pianosalon, allein oder in haushaltsüblichen Paarungen, die Plätze sind ausgemessen, Distanzen markiert; und auch die Getränkebar bleibt noch gesperrt. Immerhin, sobald man seinen vorbestimmten Platz eingenommen hat und der Pianist den seinen am Grotrian-Steinweg-Instrument von um 1900, darf man nach eigenem Ermessen und Bedürfen den Mundnasenschutz absetzen. Die Atmung hört bekanntlich mit im Konzert, der ganze Körper hört ja mit.

Maske: nicht korrekt

Das Konzert findet ohne Pause statt. Das Dollste gibts gleich zu Beginn, Alexander Skrjabins zehnte und letzte Sonate von 1912/13 mit ihrer köstlich-toxischen Ekstase, den formbildenden Verminderungen und Übermäßigkeiten, dem Trillern und Vibrieren und Tremolieren als Grundzustand des musikalischen Seins. In Maurice Ravels flott-hintersinniger Sonatine von 1903-05, einer Maskerade der besonderen Art, schweben einen die Obertöne des zeitgenössischen (und doch ganz anders als ein Érard klingenden) Instruments an wie entzückende Aerosole.

Auch für Robert Schumanns f-Moll-Sonate (1835, revidiert 1853), ursprünglich Concert sans orchestre genannt, legt Alpers sich kompetent ins Zeug. Wie gern hört man etwa die ergreifend sich sehnenden Passagen im vierten Satz; aber man überhört doch auch schwerlich die mitunter arg sich ziehenden „vollgriffigen“ Passagen und die nicht immer himmlischen Längen. Ist das virtuose Element dem Poeten Schumann nicht ziemlich wesensfremd?

Maske: korrekt

Aber pianistisch ist das natürlich alles erstsahnig, was Alpers da veranstaltet. Und nicht nur sein souveränes Spiel nimmt ein, sondern auch sein spürbarer Enthusiasmus – ja seine Dankbarkeit, musizieren zu dürfen. Und so wird zum unmaskiertesten Hörerlebnis des Abends ausgerechnet eine Transkription: und zwar die des langsamen Satzes aus Beethovens neunter Sinfonie, verfertigt von Franz Liszt. Eigentlich Musik, die in Zeiten der Omni- und Überpräsenz von Beethovens Sinfonik unter starkem Überflüssigkeitsverdacht steht. Hilpers hat Liszts van-Transkriptionen gerade komplett eingespielt. Und vielleicht sollte ja alles, was die vermeintlich vertrauten Dauerschlager von Big B. verfremdet und somit aufs Neue zugänglich macht, willkommen sein.

Hier ist es also Dank. Ausdruck dankbarer Empfindungen. Alpers vergleicht diesen Satz in seiner kurzen Einführung mit dem Heiligen Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit aus Beethovens spätem a-Moll-Streichquartett. Und eben dieses Gefühl stellt sich ein, jetzt, da man, wie vorsichtig auch immer, endlich wieder Musik erleben darf: echte Musik, von einem Menschen gespielt, im Raum entstehend, im Raum von Menschen gehört. In einer Gemeinschaft von Abständigen und Maskierten. Echt. Über dem Dach des Pianosalons aber sind in den leisen Passagen des Adagio molto e cantabile die sommerlichen Mauersegler zu vernehmen, die unsere Träume und Wünsche und Sehnsüchte in den Abendhimmel zu fiepsen scheinen.

Im Pianosalon Christophori soll es von nun an wieder regelmäßige Konzerte geben – Voranmeldung unabdingbar.

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