Woche im Zeichen des Deutschen Symphonie-Orchesters: erst die Vorstellung der kommenden Saison 2018/19, dann ein so verknapptes wie ausschweifendes Konzert mit Chefdirigent Robin Ticciati und dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard. Am Abend eines dieser Qual-der-Wahl-Sonntage, an dem auch das RSB ein hochinteressantes Totentänze-Konzert gab und es im Konzerthaus von früh bis spät brahmste.
Kurzer Blick auf die DSO-Saison 2018/19
Fleißpreis für Robin Ticciati, 18 Konzerte. Amplitudenpreis, Heinrich Schütz meets Brahms meets Dutilleux – im Rahmen einer Woche Brahms-Perspektiven im Februar 2019, mit der Ticciati offenbar von vornherein einer Gaga-Diskussion à la wo bleibt das deutsche Kernrepertoire (wie vor zehn Jahren bei Rattle) den Garaus machen will. Ergo auch wieder Bruckner, sogar casual, und Beethoven, den aber interessant in die Bredouille geschoben zwischen George Benjamin (der nächstes Jahr Composer in Residence der Berliner Philharmoniker wird) und Rachmaninow. Theatralisches mit Berlioz‘ Roméo et Juliette und szenisch eingerichtetem Messiah. Beim Musikfest im September trifft der reine Depp Parsifal auf Debussys Heiligen Sebbl, mit Felicity Lott als Sprecherin. Ach, und überhaupt viel Interessantes. Nur bitte den jungen Ticciati nicht mehr mit Rattle vergleichen, das tut weder ihm gut noch dem Bild, das wir uns von ihm machen.
Ex-Chef Sokhiev ist in der kommenden Saison leider nicht dabei, dafür Nagano und Metzmacher, der wie immer eins der interessantesten Programme der Saison hat, Messiaens Dreieinigkeit plus Schostakowitsch Babi-Jar-13 (2.2.2019). Der Babo der Herzen Roger Norrington wird in einem Jahr seinen Martinů-Zyklus fortsetzen, den er in ein paar Tagen beginnt. Viel Französisches sonst und interessante Debüts, teils beides zusammen, etwa mit Lionel Bringuier (16.6.2019). Besonders originell Fabien Gabel am 27.1.2019 mit Zemlinsky, Strauss, Mozart, Schreker, Korngold. Drei Frauen am Pult, nur eine im Abo-Konzert (Karen Canellakis am 30.3. 2019), die anderen bei Ultraschall (Simone Young 20.1.2019) und Marie Jacquot in der verdienstlichen Debüt im Deutschlandfunk-Reihe, die anno herrgottsmal Rias stellt vor hieß (10.10.2018).
Und Carl Nielsen gibts zu hören im Mai 2019, juhu, der ist langsam unauslöschliches Repertoire.
Eindruck am Rande der DSO-Pressekonferenz im neoklassizistischen Bertelsmann-Kasten Unter den Linden 1 (beste Adresse, wo gibt): Heiße Liebe zwischen Ticciati und dem Orchester. In den Buffetgesprächen mit den zahlreich anwesenden Musikern spürt man große Zuneigung und Freude zu und an diesem Dirigenten, der auf den Konzertgänger manchmal noch etwas atemlos wirkt, aber ungeheuer einnehmend in seinem Enthusiasmus, seinen Ambitionen, seiner Neugier.
Konzert mit Aimard und Harris, Schönberg, Sibelius
Diese Liebe spürt man auch in Ticciatis Konzert, an dem gleich nach der Pressekonferenz weitergeprobt und das drei Tage später in der Philharmonie gegeben wurde.
Dreimal einsätzig Sinfonisches, entstanden zwischen 1924 und 1944. Das ist strukturorientierungsmäßig schon was für fortgeschrittene Hörnavigierer. Und ein Programm für Experimentierlustige und Schadenfreudige, denn Schönberg trifft auf Sibelius. Die beiden Komponisten nehmen dabei freilich keinen Schaden, im Gegenteil. Aber man gönnt diese Kombination dem guten alten Adorno und mehr noch René Leibowitz (Sibelius, der schlechteste Komponist der Welt) und irgendwie auch Boulez (Schönberg ist tot).
Zuvor aber die 3. Sinfonie des Amerikaners Roy Harris von 1938/39. Achtzehn Minuten verdichtete Musik von befremdlich verwaschener Hektik, die Ticciati mit euphorisch ausladendem Dirigat noch zu verstärken scheint. Man spürt aber bald, dass es so gehört, nervös, schillernd, komprimiert. Denn der Unisono-Cello-Wohlklang zu Beginn, der einige Sekunden lang Banalstes befürchten lässt, täuscht über den Charakter des folgenden Werks, das sich eben weniger durch Wohlklang als durch rhythmische und klangfarbliche Unruhe auszeichnet. Lustig das panische Noten-Umblättern in den zweiten Geigen. Unverkennbar scheint der Verdichtungs-Einfluss von Sibelius‘ Siebter.
Hätte man (angesichts der Kürze und Dichte des Programms) diese hierzulande selten gespielte Musik nicht einfach nochmal spielen können, als Überraschungs-da-capo nach der Pause?
Hier eine klassische Bernstein-Aufnahme; auch wenn ein Harris-Kenner in der Pause lobt, Ticciati sei besser gewesen als Bernstein:
Schönberg und Sibelius nun nützen und befruchten einander, stellt man anschließend mit Freude fest. Welch Übermaß an Orchesterfarben in Arnold Schönbergs Klavierkonzert von 1942, fast dekadent. Orchester und Dirigent glorios, diese Art von Nuancierung liegt Ticciati eindeutig. Die Farbenpracht des Ensembles übertrifft nur der Pianist Pierre-Laurent Aimard, der weniger durch seine lustig mümmelnde Mimik (manchmal wie Mr Bean mit Schluckauf) als durch extrem differenzierte Anschlagskunst zeigt, wie witzig Zwölftonmusik sein kann. Dieser Schönberg hat Humor. Und Herz sowieso – wie ergreifend das Klaviersolo im Adagio.
Jean Sibelius‘ 7. Sinfonie C-Dur von 1924 ist der Fließendste unter den drei Einsätzern. Gelegentliche Zweifel zwar an der Klangbalance unter Ticciati, Anflüge von Hektik und Atemnot: Liegts am Orchester oder eher am flatterakustigen Sitzplatz des Konzertgängers weit am Rand oder gar an nicht zu leugnender Müdigkeit? Anyway, Pauken und Posaunen wurden für Sibelius erfunden, und Sibelius für die Klangfarbe. Die thematische Erfindung und deren harmonisches Gewand bezieht Sibelius direkt auf den Orchesterklang, liest man von Robert Layton im Programmheft: Thematische Substanz und Klangfarbe lassen sich bei ihm nicht voneinander trennen. Na, denkt man, so hat mans oft gehört, hätts bloß nie so sagen können.
Qualitätssiegel: Alle drei Stücke in diesem kurzen Konzert hätte man gern ein zweites Mal gehört. Harris entdeckenswert, Sibelius ist der beste Komponist der Welt, Schönberg lebt.
Wäre sogar hier auch noch reingegangen, wenn ich Sonntagabend nicht verplant gewesen wär. Ich liebe das Schönbergkonzert, Siebte von Sibelius sowieso.