Wenn schon, dann richtig: entweder gar nicht mehr Beethoven spielen oder nur noch Beethoven. Ersteres schlug Lothar Zagrosek mal vor, zumindest für ein Jahr. Letzteres tun die Musiker von Le Concert Olympique, zumindest mehrmals im Jahr – immer wenn Jan Caeyers, Gelehrter und Dirigent von genialer Einseitigkeit, diese Musiker aus verschiedenen Ensembles zu einem neuen Projekt seines Tournee-Orchesters zusammenruft. Wurde auf der letzten Herbsttournee Beethoven noch in Haydn gespiegelt, steht Beethoven im Kammermusiksaal der Philharmonie diesmal Beethoven gegenüber; außerdem gibts noch Beethoven. Das Konzert ist dennoch, oder gerade deshalb, das Gegenteil von Smoothest of Wiener Klassik.
Leitfaden ist die Entwicklung des Prometheus-Themas bei Beethoven kurz nach 1800. Man braucht aber weder Professor Floros noch Professor Caeyers zu lesen, um dieses zunächst etwas didaktisch wirkende Programm mit Gewinn und Genuss zu hören.
Zuerst im Contretanz, der das Finale der Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus (1801) bildet:
Hübsch klingt das, beschwingt, gerade zum Schluss hin auch unerwartet fintenreich – aber doch nicht so herausragend gegenüber den anderen im Konzert gespielten vier Nummern, dass man daraus das Potenzial für eine solche musikhistorische Karriere heraushören könnte.
Musik des 18. Jahrhunderts nennt Caeyers in seiner kurzen Einführung diese Ballettmusik, während die ein Jahr später entstandenen sogenannten Eroica-Variationen (korrekt: 15 Variationen mit Finale alla Fuga op. 35) bereits neue Musik seien. Wenn nicht gar Neue Musik, man hört ja nicht, ob Caeyers das N groß oder klein spricht. Dafür freut man sich an seiner alternativen Wortkopf-Betonung Prómetheus (der Grieche betonte wortschwanzig Προμηθεύς) und an charmanten flämisch-deutschen Wortschöpfungen wie bemerkenswertig.
Langer Abschweifung kurzer Sinnschwanz, der gefinkelte Auftritt des Prometheus-Themas in diesem Klavierwerk ist kompositorisch bereits Luft von anderem Planeten: Das Thema schält sich über dem Bass erst heraus, bis es nach der dritten „Vor-Variation“ in bekannter Gestalt auftritt. Am Schluss setzt es eine Fuge, als Krönung des Werdegangs der menschlichen Geschöpfe, wie Caeyers sehr geradlinig interpretiert.
Bemerkenswertig schöner Nebeneffekt der didaktischen Programmgestaltung: zwischen zwei großen Orchesterwerken ein solistisches Klavierwerk zu hören, wie es zu Beethovens Zeiten gang und gäbe war, heutzutage aber leider höchst selten ist.
Obwohl Caeyers in seinem lesenswerten Beethoven-Buch betont, dass die schnelle Entwicklung des Instruments nach 1800 Beethovens Klaviermusik stark beeinflusst hat, spielt der französische Pianist François-Frédéric Guy dieses vertrackte Werk an keinem historischen Streicher, Graf oder Walter, sondern an einem Steinway. Der leuchtet und lodert wie prometheisches Feuer unter den Händen dieses trotz grauer Mähne und grauen Barts jugendlich wirkenden Pianisten, allerdings auch manchmal arg verrauscht durch extensiven Pedaleinsatz. Gewiss aus pianistischem Klangideal, denn was die technische Seite betrifft, gibt es kein Indiz, dass Guy Grund hätte, etwas verschwimmen zu lassen. Man hört nur den Brahms- und Lisztspezialisten so deutlich, dass es in diesem Zusammenhang nicht ideal scheint.
Ideal aber, wie bereits die eröffnende Ballettmusik: die krönende Aufführung der 3. Sinfonie Es-Dur op. 55 vulgo Eroica durch Le Concert Olympique unter Caeyers. Halb fasziniert, halb traumatisiert denkt man an die hochmotorische Eroica-Zertrümmerung des neuen Klassik-Prometheus Teddy Currentzis vor einem Jahr zurück. Nicht mit Caeyers solche Grobheit, obwohl der auch einen originellen, nicht unlustigen Dirigierstil pflegt: manchmal hackig und pieksig, aber doch immer wieder auch angenehm zurückhaltend. Einer, der den Stab auch mal runternimmt, weil das Orchester aus lauter erstrangigen Musikern selbst im Takt zu bleiben versteht.
Von behutsamem Heroismus möchte man hier sprechen. Eine Eroica, die immer tanzt und singt. In der es gelingt, zumal die Durchführung des Kopfsatzes brodeln zu lassen, ohne dass der Putz von den Wänden bröckelte. Explosiv, ohne dass die Form implodierte. Der Trauermarsch ist ein Traum an Brillanz und Trübsinn und an Kunst der Abstufung, tausendnuancige Streicher, expressive Holzbläser mit in allen vier Sätzen hervorragenden Solisten (Flöte Anna Saha, Oboe Luk Nielandt, Klarinette Christian Hopfgartner, Fagott Amiel Prouvost). Das Scherzo erscheint als federnde Auferstehung im Tanz, im Trio verdient sich das Hörnertrio einen Extraapplaus. Und zu Beginn des Finales sieht man im Geiste dann wieder Guys Hände auf dem Klavier über Kreuz, wie sie das Prometheus-Thema suchen: forme Töne / Nach meinem Bilde.
Bemerkenswertig fabelhaft auch der Umstand, die Eroica mit nur 9 ersten Geigen im konzentrierten Raum des Kammermusiksaals zu hören statt riesenbesetzt im Moloch des Großen Saals. Leider scheint es nicht ganz einfach, den Kammermusiksaal anständig zu füllen. Warum sagt keiner den Berlinern, dass man hier besseren Beethoven hören kann als bei den Philharmonikern?
Gelegenheit, dieses Urteil auch im Großen Saal zu überprüfen, gibts am 23. November mit der Missa Solemnis mit illustren Solisten und dem Arnold Schoenberg Chor.