Wetten, dass das die lustigste Premiere der Saison ist? Jean-Philippe Rameaus Oper Zoroastre 261 Jahre nach ihrer Entstehung erstmals überhaupt in Berlin, ausgerechnet an der Komischen Oper.
Dass man en passant erfährt, dass Sarastro von Zoroaster (alias Zarathustra) kommt, ist nur ein willkommener Nebeneffekt. Oder hat das die ganze Welt schon immer gewusst, nur der Konzertgänger nicht? Insofern passt Zoroastre wie der Tofu-Fisch aufs E-Bike zur Zauberflöte, mit der die Komische Oper gerade in Moskau war.
Auch Rameaus Librettist Louis de Cahusac war ein Freimaurer, und auch Zoroastre handelt vom Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit, des Tags wider die Nacht. Wie der Regisseur Tobias Kratzer die verworrene Auseinandersetzung zwischen Weiß und Schwarz auf die Bühne bringt, ist nicht weniger als: saukomisch. Wie er aber Weiß und Schwarz dann in ein grelles Grau vermengt: saugut.
Denn eigentlich sind die Grundstücke klar getrennt: Links wohnt der Herr des Lichts, Zoroastre, rechts Abramane, Fürst der Finsternis — ein Eigenheim in der Sonne, eins im Schatten. Auf Zoroastres Seite blühen draußen die Begonien und im Wintergarten die Südfrüchte, auf Abramanes Seite gammelt eine alte Badewanne vor sich hin, im Hinterhof stehen ein oller Öltank und ein Pflanzenhäcksler, der frappierend an Fargo erinnert. Hier ein goldener Wetterhahn auf dem Dach, dort eine rostige Antenne. Unter den Dächern: Hier Kindlers Literaturlexikon, Schallplatten der Deutsche Grammophon, Zoroastre liest Le Monde. Dort schäbige Leitz-Ordner, vor denen Abramane am Joystick daddelt. Pfandflaschen versus Dosenbier.
Entsprechend das Personal: Bei Zoroastre verkehren die kultivierte Amélite (die aber ständig entführt wird), die überaus knackige Céphie und der biegsame Öko-Hippie Oromasès, der nach dem Yoga-Ballett mit Räucherstäbchen die Feuergeister herbeiruft. Auf Aramanes Seite stöckelt die wirre Érinice im knappen Schwarzen orientierungslos herum, während zwei schmierige Junge-Union-Fieslinge ein- und ausjoggen (und auch mal opportunistisch die Seiten wechseln). Auf die Gefahr der Wiederholung hin: Das ist schreiend komisch.
Aber wie Licht und Dunkel sich im Sinistren treffen: Da ist die Zauberflöte nichts dagegen, und die ist ja schon sinister. Die Welt, um die Gut und Böse ringen, kommt im Zoroastre immerhin vor — als kleiner Flecken Gras zwischen den Grundstücken, auf dem sich die Ameisen tummeln. Was man nur auf einer mehrmals aufgezogenen Leinwand sieht; Andreas Tobias filmt hinter der Bühne mit Live-Kamera den ulkig kostümierten (Rainer Sellmaier) Chor der Komischen Oper (David Cavelius). Dass auch bei den Guten etwas nicht stimmt, merkt man schon, wenn die Kronkorken der Pfandflaschen im Gras landen und die Ameisen zerschmettern. Das setzt sich, in einer Spirale gegenseitiger Provokationen, fort.
Wie dann am Ende, nach erheblichem Hin und Her und einer letzten furiosen Attacke der Finsternis im Brill-Rasentraktor, die Komik in Schrecken umkippt, wie der finale Freudentag zum Albtraum wird, das ist umwerfend beklemmend. Das schaurig-putzige Schlussvideo, das noch folgt, sucht seinesgleichen.
Wetten, dass das die schrecklichste Premiere der Saison ist?
Aber all die Komik wäre nichts ohne Rameaus überschäumend geistreiche Musik. Und ihr Schrecken wäre nichts, wenn all die Grautöne und Brüche nicht schon bei Rameau angelegt wären. Wie Abramante am Anfang des vierten Aktes mit seinem Verworfensein in den ewigen Hass hadert; wie die arme Érinice, zerzaust und ihrer glitzernden Stiletti verlustig, irre zwischen Gut und Böse nicht schwankt, sondern hintaumelt und hertorkelt, auf der Suche nach ihrem inneren Frieden; oder wie Zoroastre und sein Guru Oromasès sich in heiliger Selbstgerechtigkeit nicht zur Liebe anstacheln, sondern zum guten Hass: Das ist phänomenal komponiert. Der durchlaufende vierte Akt, in dem der Hölle Rache in den Herzen des rechten Grundstücks kocht, ist ein Wunder von Abgrund mit seinem Schnarren, Zittern, Blubbern der Fagotte und Naturhörner. Érinices herzzerreißende Arie Amour, cruel amour (mit ihrer schönen Fessel in der Fußangel) wird von Heidi Grögers Gambe so luftig getragen wie Amélites letzte Arie von der Oboe. Eine Überfülle von raffinierter Harmonik, inspirierter Melodik und edler Instrumentierung, zumal im vierten und fünften Akt.
Was für ein Verdienst, Zoroastre nach 261 Jahren in Berlin vorzustellen!
Vom Orchester der Komischen Oper darf man keinen William-Christie- oder Akamus-Sound erwarten. Alte-Musik-Puristen müssen schon etwas Toleranz mitbringen. Aber das Orchester schlägt sich unter der Leitung des hörbar kompetenten Christian Curnyn und Einsatz von Traversflöten, Naturhörnern, Gambe und Cembalo (Lutz Kohl) ziemlich wacker. Das ist, obwohl insgesamt etwas volldampfig, mehr als bloß angehaucht von historisch informiert. Akustisch zweckmäßig, das Orchester im Graben einen Meter anzuheben, sollte öfter passieren.
Unter den 13 Solisten sind keine herausragenden Stimmen oder gar Stars zu hören, aber die Rollen sind intelligent mit deutlich kontrastierenden Timbres besetzt. Man könnte sich bei einigen Sängern mehr Differenzierung vorstellen, feinere und leisere Töne, auch genaueres Französisch. Die darstellerische Verve macht vieles wett, auch die begrenzte Höhe des Tenors Thomas Walker als Zoroastre. Der Bariton Thomas Dolié als Abramane überzeugt unmittelbarer. Katherine Watson (Amélite) hat einen beweglichen Sopran. Nadja Mchantaf hat nicht unbedingt eine Barockstimme, klingt mehr nach 19. Jahrhundert, aber das gibt ihrer leicht metallischen Érinice durchaus Tiefe.
Indiskutabel klingt eigentlich nur der Chor — aber nicht aufgrund eigener technischer Mängel, sondern wegen des Kuddelmuddels der Übertragung von hinter der Bühne. Als der Chor im vierten Akt leibhaftig in den Seitenlogen erscheint, atmet das Ohr auf. Das Gesamterlebnis Zoroastre fand der Konzertgänger aber so mitreißend, dass er sogar diese klanglichen Mängel gutgelaunt in Kauf nahm.
Fünf weitere Aufführungen bis zum 14. Juli.
Mehr über den Autor / Zum Anfang des Blogs
Gut, ich wette dagegen: Der Jahrmarkt von Sorotschinzy hat meiner Meinung nach die Bewertung „saukomisch“ sehr viel eher verdient als Zoroastre. Die Kritik klingt ein bisschen, als wäre die Inszenierung (bis auf den Schluss) ein einziger Schenkelklopfer ohne Tiefgang. Wenn man sie ernst nimmt und das Komische nicht aus dem Tragischen herauslöst, was es bedingt, kann man natürlich lachen, aber wirklich fröhlich fühlt sich das nicht an.
Ich fand außerdem Nadja Mchantaf großartig, ganz besonders stimmlich aber auch schauspielerisch. Und im Programmheft erscheinen als Solisten im Orchester die Gambistin und der Cembalist namentlich. Vielleicht haben Sie ja einfach nur vergessen, die Gambistin auch mit Namen zu nennen. Sie heißt Heidi Gröger und hat toll gespielt.
Na, vielleicht habe ich mich ja undeutlich ausgedrückt. Das grelle Grau ist entscheidend, ja. Schenkelklopfer und „Tiefgang“ schließen sich nicht aus. Die von Kratzer verkündete „politische Parabel“ finde ich allerdings doch etwas großspurig.
Vielleicht haben Sie aber auch etwas flüchtig gelesen, die Gambistin Heidi Gröger steht ja namentlich im Text.
Sie sind ja mal wieder richtig fleissig :-))
Aber heute Pause.
Donnerwetter!!!