Für den Konzertgänger gliedert sich die Zeit nicht in Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern nach der regelmäßigen Wiederkehr geschätzter Künstler. Bei manchen findet sie jährlich statt, bei Jordi Savall kann sie bis zu 20 Monate dauern. Am Montagabend war es (nach Savalls letztem Besuch mit dem Concert des Nations im Mai 2015) wieder so weit.
Diesmal mit seinem Ensemble Hespèrion XXI und dem mexikanischen Tembembe Ensamble Continuo. Musik von Renaissance bis Flamenco.
Rappelvoller Kammermusiksaal mit reingestellten Stühlen. Betonung auf Saal, nicht Kammer. Ein größerer Raum darf es keinesfalls werden, denn Savalls Gamben stoßen bereits hier an ihre Grenzen, rein lautstärkemäßig. Die im Jahr 1500 (!) gebaute Diskantgambe klingt naturgemäß stärker durch als die noble Bassgambe, 1553, deren Schnecke ein venezianischer Löwenkopf ist. Macht man eben aus der Not eine Tugend des Zuhörens, lauscht ferner Musik von fern. Wenn nur die Husterer und Flüsterer nicht wären; jemand in Block A findet es angemessen, dass 1200 Menschen ihm das halbe Konzert lang beim Niesen zuhören.
Konzentrierte Stille zum Glück, als Savall mit der Bassgambe allein zu hören ist: mit freien Improvisationen über irische Tanzmelodien aus einer Bostoner Sammlung, der Ryan’s Mammoth Collection. Diese jigs und hornpipes in Dudelsack-Stimmung mit gekreuzten Saiten, damit es unten mehr brummt, wirken nur auf dem Papier wie ein Fremdkörper im Programm, nicht aber, wenn man sie hört. In einer kurzen Einführung erinnert Savall daran, wie diese Musik damalige Auswanderer in der Fremde getröstet haben mag – und fragt nach dem Trost für die, die sich heute aufmachen.
Der Hauptteil des Programms bewegt sich in erregender Spannung zwischen spanischer Kunstmusik und mexikanischer Volksmusik. Die scheinbar starre Grenze überwinden Hespèrion und Tembembe von vornherein, indem sie vieles gemeinsam spielen und die Stücke ineinander übergehen lassen. Da gibt es einerseits jede Menge Follie aus dem 16.bis 18. Jahrhundert – schön, mal ein paar andere zu hören als die hausmusikalisch zu Tode malträtierte von Corelli. Und erstaunlich, welche Funken Diego Ortiz (1510-70), Antonio Martín y Coll (1660-1734) u.a. aus dem doch sehr einfachen Grundschema schlagen.
Ein Höhepunkt sind dann die Improvisationen über anonyme Canarios: Pedro Estevans Klangstäbe rhythmisch immer leicht versetzt, während die Diskantgambe sich aussingt und schließlich hinaufschraubt in immer höhere Höhen, wo sogar ein Jordi Savall den Ton nicht mehr treffen kann. Hier eine vergleichsweise gesittete Aufnahme:
Und dann die Mexikaner: welches Feuer, welche Synkopen in den traditionellen Sones aus Tixtla und Veracruz. So viel Perkussion haben wir nun in der neuen Musik, aber wann hören wir je ein Pferdegebiss, wie Enrique Barona es spielt? Und wie stoisch diese Mexikaner dasitzen, während sie so gepfefferte Musik machen. (Dieses Volk wird auch den garstigsten Gringo-Präsidenten heil überstehen.)
Auf anmutige Weise explosiv wird es, wenn die hinreißende Donaji Esparza dazu den Zapateado tanzt: mit klackenden Absätzen, dass man um die Holzbohlen des Podiums fürchtet, oder laut- und schwerelos über die Bühne schwebend. Eine Augenweide.
Nur in der Vorstellung, doch umso eindringlicher, die folgende (nun wieder spanische Kunst-)Musik von Santiago de Murcia, eine Ohren- und Sinnenweide: ein Tanz als Duell von Mann und Frau von unbeschreiblicher Laszivität, wie der lustige Barockharfenist Andrew Lawrence-King, eine Art Seidenpyjama tragend, Casanova zitiert – keine Partnerin werde sich danach dem Mann verweigern.
Als Savall die Zugabe ankündigt, noch einen Tanz und Gesang aus Veracruz, schallt der Jubelruf einer Mexikanerin durch den Saal. Enrique Barona, durchaus kein Jungspund, trotzdem elegant und, ja, akrobatisch, tanzt nun mit Donaji. Einen Tanz, der die Schönheit der Begegnung von Mann und Frau feiert.
So wie dieses Konzert die Schönheit der Begegnung musikalischer Welten feiert. Explosiv anmutig, hoffnungsvoll.
Einfach schön.
Danke. Schöne Musik regt an.