Die Wagner-Woche an der Deutschen Oper Berlin ist eine Jungwagnerwoche, es gibt Tannengrin, Lohnhäuser, Rienzi und zur Eröffnung einen sehr gut besetzten FLIEGENDEN HOLLÄNDER. Die Idee des Regisseurs Christian Spuck, die tragische Figur des Jägers Erik in den Mittelpunkt zu stellen, besticht auch beim Wiedersehen zwei Jahre nach der Premiere, die Umsetzung der Idee dagegen nur in Maßen.
Das atembeklemmelnde Kunstnebelwabern scheint im Vergleich zur Premiere stark reduziert. Die fortwährende Trübheit bleibt (unabhängig vom musikalischen Niveau) potenziell einschläfernd und das Dauerplätschern des Wassers potenziell harntreibend. Die Bühne ist ein ziemlich leergeräumtes Haus mit sehr hohen Türen, über denen es durchs Dach nass hereinrinnt. Vielleicht das Seelenhaus des unglücklich liebenden Erik, der sich hier seiner Senta erinnert und den Verlust in einem unsel’gen Traum immer wieder nacherlebt. Dass die drei Aufzüge naht- und pausenlos ineinander übergehen, verstärkt den Albsog-Charakter (und den Harndrang).
Erik verlässt die Bühne kein einziges Mal, im Lauf der gut zwei Stunden ist das aber sehr viel Kauern, Lauern, händeringend sich Bedauern und vor allem Hin- und Herlaufen. Und nichts ist statischer als permanentes Hin- und Herlaufen. In den anderen Rollen hingegen wird viel hyperaktiv herumgestanden. Bei einem Regisseur, der wie Christian Spuck ursprünglich Choreograf ist, erstaunt diese motorische Monotonie doch etwas.
Vorteil: Hochkarätige Sänger von außerhalb lassen sich schnell ins Bühnengeschehen einpflanzen.
Und die hat’s hier. Am berührendsten bleibt dennoch der hauseigene Deutsche-Oper-Tenor von Thomas Blondelle als Erik. Der hat weder die größte aller Stimmen noch die blühendste aller Höhen, aber er gestaltet so genau und durchfühlt, dass man mit seiner Figur bitterlich zagt, zürnt und zährt. Leugnest du, greint er die verlorene Geliebte an, während das Englischhorn barmt. Eine intime klangliche Berührung ist das aus den sehr massiven Orchesterfluten, die der Dirigent Alex Kober aufpeitscht. Im Vorspiel schlingert das Orchesterschiff bedenklich, aber es säuft nicht ab, sondern tost und tobt mit zunehmender Ordnung in der orkanischen Energie. Auch der Chor wummst handfest, die Frauen partiturgemäß feiner als die stampfigen Männer. Das Aufeinanderknallen der Chöre im dritten Aufzug, wenn die Geistermatrosen an Land kommen, ist eindrucksvoll.
Die gastierenden Sänger haben keine Mühe mit der Orchesterwucht. Catherine Foster hat vor ihrer musikalischen Karriere als Hebamme 257 Babys auf die Welt geholfen und im letzten Sommer unter dem „Dirigat“ von Placido Domingo die Bayreuther Walküre gegeben, da kann eine eh nichts mehr erschüttern. Ihre Senta kommt aus der Höhe, ein koloraturdramatischer Sopran von strahlender Höhe. Kein Wunder bei so einem Vater, denn der Daland von Falk Struckmann stellt bassröhrenmäßig den Holländer von Iain Paterson noch in den tiefschwarzen Schatten. Dabei ist Paterson ein durchaus starker Holländer, überzeugender als die Premierenbesetzung: kein Riesencharismatiker, aber ein genauer Gestalter, mehr ein sich Verzaudernder als ein Verdammter. Bei diesem Melancholiker könnte man fast wirklich dran glauben, dass eine kluge Jungfrau sich im Erlösungsdienste einfach so aus dem Leben schmeißen würde. (Die Schriftstellerin Maja Das Gupta amüsierte sich neulich einen ganzen Holländer lang bei der Vorstellung, ein Opern-Kerl würde sich mal so gaga für eine Frau opfern!)
Gideon Poppe als Steuermann zeigt das hohe Niveau des Deutsche-Oper-Ensembles, Maiju Vaahtoluoto als Mary das der Stipendiaten des DO-Förderkreises. Den Holländer gibts am Donnerstag, den 9. Mai nochmal. Außerdem Tannhäuser am 5. und 11. Mai, Rienzi am 10. und Lohengrin am 12. Mai. Danach gibt es bis Ende Mai übrigens noch dreimal eine sehr hörens- und sehenswerte Opernnovität, nämlich Detlev Glanerts Fontane-Stück Oceane.
Nachtrag: Schlatz war tags darauf bei einem durchwachsenen Tannhäuser.
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Struckmann als Daland hätte ich gerne gehört.
Ja, ich hätte Struckmann vielleicht noch ein paar Worte mehr gönnen müssen, aber … er war einfach so gut, wie man’s erwartet.
So ähnlich habe ich es musikalisch auch gesehen, war am 1.5. als Clemens Bieber den Erik sang.
Ich kann mit dieser Inszenierung absolut nichts anfangen, die ödet mich an und langweilt.. Nur gut das die musikalische Umsetzung so gut war
Ein bisschen schade, weil die Vorstellung am 4.5. ja Familientag war und der HOLLÄNDER doch ein guter Einstiegs-Wagner ist (obwohl er mehr Längen hat als die doppelt so langen Werke später!). Ich war auch mit meinem Sohn in der Vorstellung. Und es ist schade, wenn Kinder sagen: Die Musik ist eigentlich toll, aber als Theater wars langweilig. Es gibt ein gewisses Niveau an Spritzigkeit und Dynamik, das sie aus Kindertheater oder Musical gewöhnt sind. Das hat nichts mit minderwertig oder seicht zu tun, sondern mehr mit theatralischem Handwerk. Gerade die Inszenierungen von Evergreens sollten doch so sein, dass der Gelegenheits- oder Erstbesucher Lust kriegt, öfter zu gehen. Dazu brauchts ja keine old-fashioned Kostümpiefigkeit, die will niemand, der bei Verstand und Geschmack ist.