FFF: Saisonvorschau der Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko

Ok, Beethoven. Aber kein kompletter Sinfonienzyklus, wie es ihn zum 250. Geburtstag circa 250mal geben wird, sondern die drei großen Fs: Friede, Freude, Fannkuchen Freiheit! Und das ist auch gar kein Anlass zum Blödeln. Denn Kirill Petrenko ist es spürbar ernst, als er bei der Ankündigung der kommenden Konzertsaison erläutert, warum er mit Beethovens Neunter (einmal in der Philharmonie, einmal vor dem Brandenburger Tor) einsteigen wird in seine erste Saison als nun aber wirklich Chef der Berliner Philharmoniker: Weil dieses Werk seine Wahl wäre, wenn die Menschheit ein einziges ins Weltall schießen wollte, um von sich selbst dem Universum zu erzählen, mit aller Freude, allem Großem und allem Schrecklichem.

Vom Frieden hingegen spricht die Missa Solemnis, die es, schade für Berlin, nur bei den Osterfestspielen Baden-Baden 2020 geben wird (von künftigen Osterplänen aber, Stichwort Salzburg, nix Genaues erzählt man nicht, das jedoch sehr andeutungsreich). Und von der Freiheit logisch der Fidelio, den es nach der Ostertournee immerhin konzertant auch in Berlin gibt. Da wird Marlis Petersen die Leonore singen, die vor der Neunten in Alban Bergs Lulu-Suite zu hören ist, eine andere Art von Freude. Petersen wird Artist in Residence. Und Fidelio gibts auch in einem Musiktheaterprojekt in der JVA Tegel, im Rahmen der Education, die Petrenko lieber Musikvermittlung nennt. (Außerdem Puccinis Suor Angelica mit Akademisten, Vokalhelden und jungen Sängern.)

Petrenko wird öfter auf Tournee zu erleben sein als in Berlin in dieser kommenden Saison, in der die Philharmoniker sich ihren Neuen noch mit der Bayerischen Staatsoper teilen müssen. Und so ausdrücklich er sich zum deutsch-österreichischen „Kernrepertoire“ bekennt (eh diese Nervdiskussion wieder beginnt wie zu Rattles Zeit), so sehr spintisiert er schon in künftige Jahre und das Herbeiziehen von „Randrepertoire“. Eins von Josef Suk wird jetzt schon kommen (die Azrael-Sinfonie), alles andere in den kommenden Jahren. Auch die Namen Enescu, Janácek, Glière, Glasunow, Hindemith, Karl Amadeus Hartmann fallen, und jedes Jahr eine Uraufführung. Bernd Alois Zimmermann aber wird apart-merkwürdig mit Sergej Rachmaninow kombiniert; mit dessen Zweiter er seinerzeit debütierte bei den Philharmonikern: wie ein Angsthase hereinspaziert sei er damals. Und Mahler. Auch beim Europakonzert in Tel Aviv, das aus Anlass des 75. Jahrestag des Kriegsendes und der Auschwitzbefreiung zu einer mehrtägigen Mini-Tournee durch Israel ausgeweitet wird.

Zwei Debütanten nur am Pult: Santtu-Matias Rouvali und Teodor Currentzis. Simon Rattle wird sein Beethoven-Scherflein mit dem Oratorium Christus am Ölberg beitragen, das es bei den BP seit 1970 nicht gab. Unter den weiteren üblichen Gastdirigenten zählt man schneller auf, wer diesmal fehlt: kein Nelsons, kein Haitink, kein Barenboim, auch Janowski erstmal nicht wieder. Und kein Signor Gatti, der in Amsterdam wegen Belästigungsvorwürfen geschasst wurde und in Berlin mit mehrmonatigem Vorlauf „krank“ wurde. Aber für 2021 sei er wieder eingeplant. Wenn nicht noch was dazwischen kommt und er wieder ersetzt wird. Vielleicht ja sogar durch eine Frau. In der kommenden Saison dirigiert nur eine einzige. Nun ja. Die ist dafür aber Emmanuelle Haïm.

Haïm ist auch abseits des sinfonischen Hauptbetriebs präsent, unter anderem mit ihrem Ensemble Le Concert d’Astrée in dem starken Alte-Musik-Zweig. In der neue(re)n Musik gibts dicke Pflöcke mit sieben Ur- und deutschen Erstaufführungen, viel Edgard Varèse, viel Gérard Grisey und einem zweitägigen Elektronik-Techno-Festival unter dem Titel STROM. Schöne Initiative, mal sehen, was dabei rauskommt.

Der anwesende Orchestervorstand Alexander Bader indes klingt geradezu (künstlerisch) verliebt, als er über die Arbeit mit Petrenko spricht und über unbändige Vorfreude. Die Musiker sind extraordinaire engagiert, in sieben Konzerten treten Solisten aus Reihen des Orchesters auf, und zu Beethoven tragen sie mehr als ein Scherflein bei, ein richtiges Scherf geradezu, nämlich sämtliche Streichquartette (auf Tournee und im Rahmen eines „Marathons“ in Berlin), außerdem Kammermusik für Bläser. Und das Orchester hat eine psychedelische Sonder-Webseite zu Kirill Petrenko eingerichtet, die kiekt sich an wie LSD mit Randrepertoire von Skrjabin auf dem Kopfhörer.

Weitere gute Omen: Man bleibt beim Sie zwischen Orchester und Dirigent. Das Duzen mit Abbado und Rattle sei nicht immer hilfreich gewesen. Und Petrenko, der hier sehr gesprächig ist und überhaupt wie ein ganz normaler, nur eben sehr musikalischer Mensch wirkt, möchte auch weiterhin keine Interviews geben. Fein.

Zur Saison 2019/2020

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Ein Gedanke zu „FFF: Saisonvorschau der Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko

  1. Schön, dass Sie so ausführlich berichten.
    Das Sympathische an Petrenko ist, dass er sich – voraussichtlich – ab Saison 20/21 ganz auf Berlin konzentrieren wird. Da kann was zusammenwachsen.
    Bei den Stellungnahmen der Musiker kann man eventuell skeptisch sein, hab manchmal das Gefühl, die wollen noch den ein oder anderen Skeptiker nachträglich von der Richtigkeit der Wahl überzeugen.
    Hrusa legt einen erstaunlichen Weg hin, find ich aber auch zu recht.
    20/21 wird Petrenkos Handschrift sicher noch deutlicher werden.
    Schön, dass Tel Aviv in den Konzertkalender aufgenommen wird und das unsägliche Abu Dhabi rausfliegt, wo die Musiker rückgratverdrehend gebuckelt haben und ihre Juden freiwillig zu Hause ließen.

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