Obwohl die Staatsoper versichert, die gute alte Aktionskunst Fluxus sei heute relevanter denn je, radelt der Konzertgänger mit vorsichtiger Skepsis gen Schillertheater. Dabei ist seine persönliche Bilanz des diesjährigen Infektion! Festivals für Neues Musiktheater, das sich nicht allzu streng dem Thema Fluxus widmet, durchaus erfreulich: Waren John Cages Europeras durchwachsen, so hat ihn doch Footfalls/Neither von Samuel Beckett und Morton Feldman nachhaltig verzückt; aber daran war gar nichts Fluxushaftes.
Auch am Schillertheater ist eigentlich nichts Fluxushaftes. Um Atmo zu schaffen, steht eine traurige Installation vor dem Haus. Im Flur der Werkstatt sind die Wände (rund ums Rauchen nicht gestattet, Ordnung muss sein) bemalt, beklebt und beschrieben, mit einer Mischung aus penetranter Infantilität und theorieseliger Großsprecherei, die im Konzertgänger einen beklemmenden Flashback in seine unseligen Uni-Zeiten hervorruft. Vielleicht ein persönliches Problem; vielleicht trübt auch das lange Rumstehen im stickigen Flur vor verschlossener Tür seine Stimmung.
Er ist jedoch nicht der einzige Miesepeter: Etwa 90 Sekunden nach Einlass verlassen die ersten Besucher die Vorstellung, was vielleicht ein wenig borniert ist. Aber man hat tatsächlich das Gefühl, nun wirklich alles gesehen, gerochen und gehört zu haben: den Podiumsaufbau mit herumkasperndem Mitspielregisseur (Akuluku! Akuluku!), das beißende Räucherstäbchen-Odeur, die herumgetragenen Didgeridoos, sogar umarmt wird man. In großer Kunst geht es ja immer um Grenzerfahrungen, Fremdschämen ist auch eine.
Das interaktiv miteinbezogene Publikum schaut apathischer als in jeder Puccini-Oper zu, was ihm da vorgesetzt wird: ein Theater der Nicht-Repräsentation, bei welchem die Mitwirkenden „als sie selbst“ auftreten, soll Stockhausen in seiner Happening und Eventpartitur geschaffen haben. So offen der Anfang, so konventionell das Ende, mit Klatschen und Verbeugen. Der Abend hat ja durchaus seine Reize gehabt: Der Schauspieler Günter Schanzmann lallt zahnlos herum, bevor er sich sein Gebiss wieder einsetzt, um aus Sophokles‘ Antigone zu deklamieren. Die Fassbinder-Veteranin Irm Hermann hat eine geradezu auratische Präsenz, auch wenn sie sich ungelenk bewegt wie eh und je und immer noch nicht richtig sprechen kann (Zukumpft). Der 85jährige Gerhard Rühm sitzt reglos im Sessel, ehe er kurz vor Schluss ein Lebenszeichen in Form einer witzigen Gedichtlesung von sich gibt; übrigens der einzige Moment, an dem im Saal gelacht wird. Auch einen gesichtstätowierten Leierkastenmann und einen ulkigen Roboter gibt es. Eine Sängerin zerschlägt mit einem Beil keinen Konzertflügel, sondern einen Umzugskarton, vielleicht eine Budgetfrage. Schließlich tritt auch eine sympathische Kreuzberger refugee-Band mit Trommel und Ukulele auf und bietet Schunkellieder mit antirassistischen Statements dar, denen niemand wird widersprechen wollen (solange diese Zustimmung keinerlei Konsequenzen nach sich zieht); immerhin können diese Jungs und Mädchen sich richtig bewegen, vor allem der Rapper.
Dass das alles weder witzig noch erkenntnisfördernd ist, ist nicht das Problem. Was man zunehmend vermisst, ist Stockhausens Musik, auf der das alles basieren soll. Erst gegen Schluss gibt es längere Passagen der großartigen Kontakte-Komposition, mit Adrian Heger im Leben des Brian-Fummel am Klavier, Ni Fan am beeindruckenden Schlagzeug-Arsenal und Sébastien Alazet als Tontechniker, der magische live-elektronische Klänge in den Raum steigen und um die Köpfe des gemarterten, nun dankbaren Publikums schweben lässt.
Ungeheuer kraftvolle Musik ist das! Auf das Getue rundherum könnte man verzichten. Relevanter denn je? Kann weg.
Weitere Vorstellungen am 25. und 27. Juni
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.