Dernieren (1): Berlioz‘ „La Damnation de Faust“ an der Deutschen Oper

Zum letzten Mal! Alle Welt spricht von Premieren – aber wer nimmt sich der Dernieren an? Was war, was wir vermissen werden und was nicht: der Konzertgänger als Opernnachrufer. Den Anfang macht Christian Spucks Inszenierung von Hector Berlioz‘ „La Damnation de Faust“, die Samstag  an der Deutschen Oper Berlin zum verdammt allerletzten Mal gegeben wurde.

Im nicht gerade überfüllten Opernhaus herrscht an einem solchen Tag eine wundersame Atmosphäre, die an einen Badeort nach Ende der Saison erinnert. Weiterlesen

Missbräuchlich: Berlioz‘ „La damnation de Faust“ an der Staatsoper Berlin

Wer schaut sich freiwillig ein Pokalfinale an, wenn er zur selben Zeit mit Hector Berlioz zur Hölle fahren kann? O mérikariu! O mévixé! Mérikariba!, wie es (sehr frei nach Goethe) im finalen Pandämonium von La damnation de Faust heißt. Da schunkeln und walzern die höllischen Heerscharen in so trostloser Pracht, dass auch eine Helene Fischer kein Buh befürchten müsste, nur ein anfeuerndes: Has! Has!

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Und dann wird das in der Staatsoper im Schillertheater noch vom genialen Filmregisseur Terry Gilliam inszeniert! Das muss ja was werden!

Wird auch was: nämlich eine gute Gelegenheit fürs Motto prima la musica. Denn musikalisch ists prima. Weiterlesen

5. Juli 2015 – Lebenssüchtig: Gounods ‚Faust‘ in der Deutschen Oper

Dieser Faust, mit dem die Deutsche Oper ihre Saison beschließt, könnte ruhig Margarethe heißen, wie es früher in Deutschland üblich war: zum einen, weil Charles Gounods Goethe-Oper sich (wie die Goethe-Homer-Vergil-Shakespeare-Opern von Hector Berlioz) ohnehin keinen Deut um ihr literarisches Vorbild, v.a dessen Sprache schert. Zum anderen aber, weil vor Krassimira Stoyanovas lyrischer, dramatischer, herzzerreißender Darstellung der Marguerite alles andere verblasst.

Dabei ist der Konzertgänger von dieser Oper, zugegeben einem ziemlichen Schinken aus dem tiefsten 19. Jahrhundert, sehr angetan und gerührt. Ihre moralische und religiöse Dringlichkeit ist unvergleichlich: Nicht erst wenn zum Finale die Orgel lostobt, spürt man den katholischen Priester, der der junge Gounod beinah geworden wäre. Das Böse ist hier wirklich böse, abgrundtief böse, egal wie viel Witz und Don-Giovanni-Verführungskraft der famose Ildebrando d’Arcangelo seinem Mephistopheles verleiht. Und wie der sterbende Valentin (Markus Brück) seine unglückliche Schwester wieder und wieder verflucht, ist auch für den heutigen Zuschauer kaum zu ertragen.

Featured imageDass Faust gegenüber Margarethe fast verschwindet, ist ganz in Ordnung, das hat in der Oper so zu sein, auch Aeneas und Theseus kommen auf der Bühne niemals gegen Dido und Ariadne an. Es liegt also nicht an Teodor Ilincai, auch wenn es kurios ist, dass der gebrechliche, todessüchtige Faust so kraftvoll schmettert wie Jung-Siegfried. Also eigentlich ein Leichtes für Mephisto, dem lebenssüchtigen Opa die ersehnte Jugend zurückzugeben: denn nur um die, nicht um irgendwelche Erkenntnis geht es diesem Faust. Und Gounods lyrische und dramatische Musik befriedigt die Lebenssucht des Hörers, wunderschöne üppige Klänge, die nie vermantschen; das Orchester der Deutschen Oper ist eine Bank, seit Runnicles es auf Vordermann gebracht hat, das hört man auch unter Marco Armiliato. Und über den phänomenalen Chor noch ein Wort zu verlieren hieße Euros nach Athen tragen!

Philipp Stölzl hat das alles sehr schön und effektvoll inszeniert, ohne aufdringliche Thesen, nur mit einigen angedeuteten Gedanken, einem massiven Turm, um den sich alle Bilder drehen, jeder Menge Masken, einem etwas seltsamen Schneehasenkostüm für die Hosenrolle des Siébel. Die hübschen Schuluniform-Hexen, die Valentin schon abmurksen, bevor Faust ihm den Ungnadenstoß versetzt, erinnern an Charles-Manson-Groupies. Auch scheint Stölzl mit seinen Kindern Die Schneekönigin in der Komischen Oper besucht und sich den poetischen kleinen Wohnwagen ausgeliehen zu haben. Nur die ekstatische Party mit Trockensekt aus rotem Pump à la Wowereit wirkt doch ziemlich trist; und dass der Regisseur seiner Hauptdarstellerin ein blutjunges Double beigesellt hat, die an ihrer Stelle begehrt, geliebt und schwanger wird, ist etwas uncharmant.

Macht nichts, Krassimira Stoyanova beherrscht trotzdem die Bühne vom Anfang, wo Margarethe schon in der Todeszelle sitzt, bis zum Schluss, als sie von gesichtslosen Männern aufs Giftspritzenbett geschnallt wird. Für solche Frauen gibt es große Opern. O Dieu! Que de bijoux! singt sie überwältigend und zieht allerlei glitzernden Tand aus den Schmuckkästchen des Teufels: Dieser Sängerdarstellerin nimmt man alles ab.

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