Einen Ort, den sogar die Frankfurter Allgemeine schon als „Untergrund“ bezeichnet hat, den mag man kaum mehr so nennen. Also ist der Pianosalon Christophori wohl einfach einer der schönsten, interessantesten Klavier- und Kammermusikgründe Berlins. Und immer ein Obergrund, in den (nicht nach!) Wedding zu fahren. Zumal im August hilft der Pianosalon dem Klassikfreund, der nicht in Bayreuth oder Salzburg weilt, ohne bleibende Schäden zu übersommern.
Besonders hintergründig geht es beim Pianisten Michael Abramovich zu. Der startet, nachdem er zuvor in einer urlangen Reihe Chopins Klavierwerk rauf und runter gespielt und erklärt und sich so offenbar ein treues Stammpublikum erarbeitet hat, eine neue Reihe: Die letzten 10. Eine Ein – und Aufführung des Spätwerkes der drei großen klassischen Klavierkomponisten Haydn, Beethoven, Schubert. Die Reihe ist, logisch, auf zehn Konzerte angelegt, jedes gibts zweimal.
Der Sommer ist in der ehemaligen Busdepot-Halle am Ufer der niedlichen Panke gut spürbar, aber Abramovich musiziert wie die Katze unter dem heißen Blechdach, es glüht. Franz Schuberts Lied Totengräbers Heimweh erwähnt Abramovich, bevor er dessen a-Moll-Sonate D845 spielt, und wenn man in den ausgedehnten Fermate-Pausen den Deckenventilator vernimmt, meint man Totenvogels Flattern zu hören. Unisono-Beginn wie in der später zu hörenden Appassionata, aber nicht klar rauf und runter wie dort, sondern schlangenmäßig vertrackt sich ringelnd, wie Schubert mit der Sonatenform. Der voluminöse Bösendorfer klingt mächtig und manchmal furchteinflößend. Abramovich spielt mit deutlichen, fast didaktischen Temporückungen und Akzenten, dennoch nicht lehrerhaft, sondern ungemein lebendig.
Ganz unlehrerhaft die knappen Einführungen, fast willkürlich scheinende Denk- und Höranstöße, das Gegenteil von András Schiffs systematischer Pädagogik. Sehr anregend ist das und zurückhaltend, wohlformuliert und doch spontan. Abramovich spricht von den Lego-Bausteinen der Wiener Klassik anlässlich Joseph Haydns Sonate As-Dur Hob. XVI:43 und macht das ganz plausibel, wenn er dann mit dem Publikum spielt.
Was für einen expressiven Überschuss man aus Legobausteinen basteln kann, macht Ludwig van Beethovens Sonate f-Moll Op 57 deutlich. Abramovich nimmt in seiner atemberaubenden Interpretation die Appassionata vom ersten Satz an mit einem Affenzahn, was sich ganz richtig anfühlt, denn die Seele ist ein gehetzter Affe in diesem Werk. Bei den Tonrepetitionen des Kopfsatzes schlottern einem die Knie. Hat das Thema des zweiten Satzes nicht was von einem getanzten Choral? Die Tonwerte verdoppeln sich mehrmals, wie in der 111er Arietta, aber ohne in so einen extrairdischen Triller zu münden. Hier und noch im Finale, wenn der Totenvogel in diesen unerbittlichen Sturmflug geht, hat man immer das Gefühl, dass Abramovich bei aller Leidenschaft nie aufhört, den Lego-Charakter sogar dieses Sonatengiganten zu ergründen, seine Form. Und den Witz, den alle Form hat.
Abramovich spielt dieses Programm am 15. August nochmal (die letzten Plätze über die Webseite buchbar). Auf neun weitere Programme kann man sich gründlich freuen.
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