Golden expansiv: Ungdomssymfonikerne bei Young Euro Classic

Aah, Norwegen!

Grauseelenerquicker Young Euro Classic, das Berliner Sommerfestival der jungen Orchester, das einen vergewissert, dass gar nichts den Bach runtergeht, so ganz allgemein nicht und kulturell schon gar nicht, im Gegenteil, die Bäche unserer Kultur fließen bergaufer denn je. Die Rumänen seien ganz hervorragend gewesen, hört man von Dauergästen. Jetzt also die Norweger der Ungdomssymfonikerne (Copy & Paste schrieb diesen Namen hier rein). Besonders schön immer, wenn die Orchester nicht nur sich selbst ins Konzerthaus Berlin mitbringen, sondern statt der internationalen Klassikhauer von Bee bis Tschai auch noch Musik aus ihrer Heimat.

Wobei die Ungdomssymfonikerne auf die Zurechnung des Dänen Carl Nielsen und des Schweden Anders Hillborg nach Norwegen natürlich antworten müssten: Gern erweitern wir euern Horizont über euern alpenländischen Tellerrand hinaus, liebe Berliner.

Doch zwischen den beiden gibts ja Edvard Grieg. Und dessen hier zu hörende Lieder für Sopran und Orchester sind ganz expansiv norwegisch, sogar wenn Grieg Goethe vertont (Zur Rosenzeit). Ann-Helen Moen singt mit kunstvoller Natürlichkeit, auch wenn ihr in der Höhe frühlingshaft leuchtender Sopran in der Mitte manchmal bissl übervibratiert scheint und sich unten gelegentlich im Nirgendwo verliert. Stimmungsvoll ist das und man hörts gern, auch wenn dem Konzertgänger sechs Lieder, die einen in so ein pauschales skandinavisches Seelenschaukeln versetzen, dann auch reichen.

Aber im Schwan und im Traum (letzterer nicht von Grieg, sondern von Söderlind instrumentiert) gibts viel von diesem Goldenen, das ein etwa fünfjähriges Mädchen schon zuvor in Anders Hillborgs Eleven Gates (2006) entdeckte: Harfen, beantwortet der Vater die Frage seiner Tochter, was das Goldene sei.

Es ist unterhaltsam, bei Hillborg die Titel der elf Abschnitte mitzuverfolgen, da driftets nach D-Dur und schnattern die Spiegel und spielen Toy Pianos auf dem Meer. Das ist so ein Stück, wie große Orchester es sich wünschen, um „was Modernes“ im Programm zu haben (auch die Berliner Philharmoniker spielten schon Hillborg): famoser Klangrausch, sehr abwechslungsreich, gekonnt instrumentiert sowieso. Dem Konzertgänger gehts wie bei der Alpensinfonie, an jeder Station Oha!, aufs Ganze gehört: Na und? Ganz sicher aber verstößt es nicht gegen den Geist des Werkes, zwischendurch mal zu fragen, was das Goldene sei, so dass man darum das fünfjährige Kind hässlich anzischen müsste. Zur gerechten Strafe für das doofe Zischen von hinten hat das Kind dann beim folgenden Grieg auch Schluckauf.

Nielsen-Mosaik in Kopenhagen, Foto: Edelseider

Aus Schluckauf und pauschalem Seelenschunkeln reißt einen schließlich Carl Nielsens kauzige, verschrobene, charismatische 3. Sinfonie „Sinfonia espansiva“ d-Moll (1912). Ganz ohne das Goldene. Das ist dennoch ein Stück, in dem die Lebensströme bergauf fluten! Wenn das wuchtige erste Thema sich in einen expansiven Walzer metamorphiert, ist das Schunkeln in anderer Dimension. Und selbst die zeittypischen Nervvokalisen im pastoralen zweiten Satz (es summt neben Moen der Bariton Håvard Stensvold) hört man da ganz gern. Die Spielkultur der Ungdomssymfonikerne, die der Dirigent Johannes Gustavsson mit Leidenschaft und Übersicht leitet, erweist sich als enorm. Feiner Streicherklang, warmes Blech, und die immer wieder solistisch hervortretenden Holzbläser machen viel Freude, zumal Nielsens geliebte Flöte. Vielleicht ginge, um Nielsens überschäumender élan vital-Schrulligkeit willen, noch ein Gran mehr Kante und Schroffheit? Dennoch ist das, wie schon bei Hillborg, eine überaus kohärente, überzeugende Orchesterleistung.

Weiteres Plus: Eine Geigerin hat blaue Haare, das sieht man gern unter diesen so gesittet wirkenden jungen Musikern; denn blaue Haare sind ja gar nichts Unsittliches. Warum leisten sich also nicht mehr Orchestermusiker blaue, grüne, goldene Haare?

Gewichtige Stimmungen rund ums Konzert: Ungdomssymfonikerne waren schon öfter beim Festival, auch 2011 kurz nach dem Massenmord von Utøya, bei dem einige der damaligen Musiker Freunde oder Freundinnen verloren. Ein unvergessliches Konzert, sagen die, die dabei waren. Jubilös aber, dass das heurige optimistische, bergaufe Konzert am Mauerbau-Tag 13. August stattfindet, an dem es immer so eine expansive Erquickung ist, auf dem Heimweg klingelnd durchs Brandenburger Tor zu radeln.

Eine Woche gehts noch weiter mit Young Euro Classic im Konzerthaus.

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