Levitierend: Aimard und Schuch spielen Klavier, Alfred Brendel nicht …

… der liest nämlich Gedichte vor: Brendels einziger Auftritt als ausdrückliche Bühnen-Hauptperson bei der zehntägigen Hommage, die das Konzerthaus Berlin ihm dieser Tage widmet. Daneben wird er Einführungen zu mehreren Streichquartetten geben (30. April, 19.30 & 21 Uhr) und über sein Leben sprechen (5. Mai, 18 Uhr). Das Konzerthaus richtet ihm überdies eine Ausstellung im Werner-Otto-Saal aus (Führungen ohne Konzertbesuch täglich um 15 Uhr), eine schnieke Festschrift gibt’s auch. Und sicher wird er im Publikum vieler Konzerte zu entdecken sein, die Schüler, Freunde, Weggefährten geben.

Rhode_island_red_1915_lithographBei der Late-Night-Lesung im Kleinen Saal tritt der Pianist Pierre-Laurent Aimard am Bechsteinflügel als Brendels Kompagnon auf. Oder sollte man besser Komplize sagen? Die beiden gäben ein herrlich verschrobenes Komikerpärchen ab, auch als Estragon und Wladimir könnte man sie sich gut vorstellen:

Als Godot endlich erschien, war die Enttäuschung groß,

heißt es in Brendels feinem Godot-Gedicht. Ob die Werke aus dem Band Spiegelbild und schwarzer Spuk durchweg Chancen auf Aufnahme ins Jahrbuch der Lyrik hätten (Bewerbungen hier), sei mal dahingestellt. Und wen schert schon die Beckmesserfrage, ob diese schönen, geistreichen, genießerischen, absurden, schwarzhumorigen Miniaturen nicht eher Kurzprosa als Lyrik zu nennen wären?

Brendels charmanter Duktus ist die reine Freude, auch wenn man bisweilen dem einzelnen Wort mehr Zeit zum Nachklingen wünschte. Dafür greifen die Gedichte bestens mit den kurzen Klavierstücken von György Ligeti und György Kurtág ineinander, die Aimard spielt – auch mal auf den Klavierdeckel hämmernd, in Désordre Nr. 1 von Ligeti. Oder lautlos in der Luft brillierend, in Kurtágs Pantomime, die Albertus_Verhoesen_Chickens_and_park_vaseauf das Wort verschwinden in Brendels Gedicht Einer Schauspielerin folgt. Kurtágs Agitato tönt ganz anders, wenn man davor von Brendels Huhn vernahm, das vor dem lüsternen Hahn wegrennt. Und Ligetis White on White ist ein glänzender Klanggrund für Brendels fetten Buddha. Aimard rennt auch mal von der Bühne, trottet wieder herein, schlurft die Tastatur auf und ab, hängt sich einen schwarzen Bart um oder sticht sich in den linken Zeigefinger, weshalb er dann Kurtágs Geburtstagselegie für Judit (für den zweiten Finger ihrer linken Hand) mit dem zweiten Finger der rechten Hand spielt. An solchen  Fein- und Freiheiten sollt ihr den großen Pianisten erkennen!

Famos durchtrieben, wenn Brahms in Brendels gleichnamigem Gedicht als nächtlich klavierspielender Kinderschreck erscheint und dann auf Kurtágs dröhnende Hommage à Tschaikowsky trifft. Aus Brendels Kein Wunderkind das schöne Schlusswort: Er spielt wie ein Zehnjähriger. Es hat sich gelohnt.

… und eine Samstag-Mittag-Levitation

In Brendels Triller kommt ein Pianist vor, der den berühmtesten Triller der San_Giuseppe_da_Copertino_si_eleva_in_volo_alla_vista_della_Basilica_di_LoretoMusikgeschichte minutenlang ausdehnt, um das mystische Erlebnis des Opus 111 zu verdeutlichen, und schließlich in persona über dem Klavier levitiert. Da passt es bestens, dass am folgenden Tag zur Mittagszeit der Brendel-Schüler Herbert Schuch, ebenfalls im Kleinen Saal, Ludwig van Beethovens 32. Klaviersonate c-Moll op. 111 spielt. Der pianistische Schwerpunkt des Hommage-Programms sind ja Beethovens fünf Klavierkonzerte, von fünf verschiedenen Pianisten gespielt (Bericht folgt). Da ist es um so schöner, auch eine Beethoven-Sonate zu hören. Und dann noch diese. Und dann noch so gut.

Denn Schuch geheimnist nichts hinein, damit die Musik levitiert, sondern entwickelt Hochspannung aus dem, was halt da steht: im ersten Satz Kontraste bis über die Schmerzgrenze, im zweiten Adagio molto semplice e cantabile. Ohne Gewese lässt Schuch den Steinway singen und nimmt sich äußerst viel Zeit für die schrittweise Verflüssigung der Arietta. Ekstase kommt da wie von selbst; im Schlusstriller und der Wiederkehr des Themas ist das Glücksgefühl über das, was sich da ereignet, mit Händen zu greifen.

Zuvor das zweite Heft der Préludes von Claude Debussy. Das ist schon ganz hohe Schattierungsschule, was Schuchs Klangfarben, Dynamik, Agogik angeht. Dabei scheint der Flügel gelegentlich störrisch, bei einigen Pedalwechseln entstehen putzige Nebengeräusche. Clarté heißt bei Schuch auch, die aggressiven Momente der Préludes zu beleuchten: in der Brachial-Habanera La Puerta del Vino etwa oder in der Motorik des General Lavine, die nicht nur an einen Cake-walk-Clown erinnert, sondern fast an Nancarrow-Mechanik. Vor Debussys Ondine und tanzenden Feen sollte man auf der Hut sein, die alternierenden Terzen des vorletzten Stücks können Klavierspieler in Albträume verfolgen, und die abschließenden Feux a’Artifice levitieren hier aus knochentrockenem Ausgangsmaterial um so explosiver.

Zugabe nach opus 111 immer ein Problem, hier: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ von Bach/Busoni. Schuch (hier im VAN-Interview) ist ein toller, unprätentiöser Pianist und der Kleine Saal unter Wert gefüllt. Vielleicht mal ein Fall fürs Klavierfestival? Immerhin, die wichtigen Leute sind da: Alfred Brendel sitzt zwischen zwei reizenden Frauen in Reihe 7. Als in den Schlussakkord gleich des allerersten Stücks, der Brouillards, ein Handy bimmelt, wird er froh sein, diese Pianistenfron hinter sich zu haben. Auf dem Gendarmenmerkt bläst und bumpert ihm indes eine Feuerwehrkapelle Salut. Der Gedanke einer musikalischen Bannmeile um Konzerthäuser sollte ernstlich erwogen werden.

Die Hommage läuft noch bis zum 7. Mai.

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