Schumanns 1. Klaviersonate fis-Moll: Wenn man sie an Sonaten statt als etwas langwierige Improvisation versteht, geht’s eigentlich. Die immense Klarheit und traumwandlerische Sicherheit von Anna Vinnitskayas Spiel ist genau das Richtige für diese Musik. Denn die wäre als Gesamtgrollen mit Rauschebass (was andernorts nicht nur theoretisch vorstellbar, sondern auch praktisch erlebbar ist, wenn die fis-Moll-Sonate denn mal gespielt wird) eine strapaziöse Prüfung. Hier aber wirft Vinnitskaya sich als wendige, tollkühne Chamäleon-Pantherin selbst der Schlange der Zerfaserung und Langeweile im Finale unkaputtbar entgegen.
Die einleitende Schumann-Arabeske C-Dur ist das ideale Einwärmstück, für Musikerin wie Publikum. Und gegen Vinnitskayas Spiel der vier Chopin-Impromptus ließe sich allenfalls einwenden, dass die Pianistin „zu gut“ ist. Sie kann es einfach derart spürbar, dass es kaum wirkt, als entstünde diese Musik gleichsam erst im selben Moment; aber es ist ja auch kein ehernes Gesetz, dass das so klingen müsste. Geradezu ideal scheinen schließlich Valses nobles et sentimentales und erst recht La Valse von Maurice Ravel: das erste Stück mit unbarmherziger Mechanizität (die Dissonanzen im ersten Walzer!) und auch gelegentlich süßer Spieldosigkeit, die doch immer doppelten Döschenboden hat; und das zweite nicht nebulös auftauchend, sondern von Anfang an subkutan vulkanös. Später solche scharfen Linien im Diskant, dass man meint, es müsste der Pianistin die Tastatur zerschneiden. Und am Ende tatsächlich die totale Explosion, man fürchtet, der Kammermusiksaal könnte einstürzen; aber alles in Maßarbeit sondergleichen.
„Kurz und kritisch“ hieß einst eine Rubrik im Tagesspiegel, die es leider nicht mehr gibt. Da aber k&k immer fein ist, rezensiert der Konzertgänger, wenn er wenig Zeit hat, manchmal auch „Kurz und kryptisch“.
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