„Kurz und kritisch“ hieß einst eine Rubrik im Tagesspiegel, die es leider nicht mehr gibt. Da aber k&k immer fein ist, rezensiert der Konzertgänger manchmal auch „Kurz und kryptisch“.
Heute: Herbert Blomstedt ist auch wieder da und dirigiert Sibelius und Brahms bei den Berliner Philharmonikern.
Bereits vor aller Interpretation beglückt das Erscheinen von Herbert Blomstedt. Wir wollen ihn nicht gerade uralt nennen, aber die Berliner Chefdirigenten Vladimir Jurowski und Robin Ticciati sind zusammengerechnet sieben Jahre jünger als er. Und seien wir ehrlich, wir alle werden mit 94 Jahren nichts dergleichen sein, wissen oder können wie Blomstedt, und dennoch zeigt er uns, dass es möglich ist, der ganzen Sache ein Schnippchen zu schlagen. Nun flitzt er also wieder, wie er’s schon vor Corona tat, am geländerlosen Philharmonie-Bühnenabgrund in derart flottem Tempo zum Dirigentenpodest, dass man sich innerlich in einer Tour bekreuzigt.
Beglückend auch die Kombination von Sibelius und Brahms (nicht alle Tage zu erlebende Paarung). Wieso passt das? Neben allerlei stimmigen Details, die einen im Hören verblüffen, meint man in den beiden so unterschiedlich gestimmten Werken (Sibelius‘ scheinbar ausgekargte Vierte und Brahms‘ von drei Tönen ausgehende unerschöpfliche Dritte) eine irgendwie doch verwandte Weltstimmung zu spüren. Etwa in der Nachbarschaft von Emphase und Tendenz zum Stillstand; nur dass das Niedergeschlagne und die Erstarrung bei Sibelius Ausgangspunkt und Ziel ist, während etwas Ähnliches bei Brahms plötzlich unterwegs begegnet – sozusagen sich schlagartig nicht-ereignet.
Hat man ein paar Tage zuvor beim öffentlichen Live-Wiederauftritt der Philharmoniker schon Sibelius‘ schwelgerische Zweite gehört, kann man nur staunen und den Hut ziehen über den weiten Weg zur teils fast abstrakten Strenge der Vierten (und den Kopf schütteln über die einstmalige avantgardeutsche Sibelius-Verachtung). Seinen Sibelius dirigiert Blomstedt sowieso aus dem Kopf. Bei Brahms liegt die Partitur auf dem Pult, aber aufgeschlagen wird sie keineswegs. Nichts Forciertes oder Gedrücktes ist bei Blomstedt in dieser hohen Kunst zu hören. Auch in den klüftigen Partien des Finales findet keine Teilnahme an etwelchen Harschheitsbewerben statt, denn das Scharfe muss nicht angeschärft und das Schroffe nicht überschrofft werden. Rundum, wie gesagt, beglückend.
Zwei weitere Aufführungen am Freitag und Samstag, letzte Karten erhältlich.
Öhm, die Partituren lagen, wie immer bei Blomstedt, bei beiden Werken auf seinem Pult… Bei Sibelius halt nur die Taschenausgabe.
Okay, na gut. Wobei ich ja nichts Gegenteiliges ausdrücklich behaupte 🙂
Aber den Taschensibelius hab ich mit Gleitsichtbrille und als Meist-geschlossene-Augen-Hörer aus Block C tatsächlich nicht erspäht, nur den großformatigen Brahms.
Interessant, da ja beide Werke fast identisch besetzt (nur der Glockenspieler vertschüsste sich nach Sibelius, oder?)
Also ich bin mir sicher es war keine Bibel! Bei Bruckner liegt bei ihm auch immer nur ein kleines Partitürchen da…
Die Glocken raus, das Kontrafagott rein…