Um diesem hemmungslosen Aus- und Raushusten in den Pausen zwischen den Sätzen zu entgehen, dem vorsorglichen Geröchel, dem Schnäuzen und Ausschmeißen, dem raschelnden Bonbonauswickeln, dem Poltern hastigen Nacheinlasses, dem unvermeidlichen Nachstimmen zwischen zweitem und drittem Satz und vor allem dem nichtigen Geplapper — um all dem zu entgehen, muss man sich bloß zwischen den Sätzen mit spitzen Zeigefingern die Ohren zuhalten: Dann erlebt man ohne Hörstörung eine auf gewissenhaft, ja bescheiden genaue Art vollkommene Aufführung von Gustav Mahlers 9. Sinfonie D-Dur unter Bernard Haitink, für die einem die Worte fehlen. Außer vielleicht dem einen: Dankbarkeit.
Für solche Abende existieren die Berliner Philharmoniker.
Rührend, wenn im Schlussapplaus einer von den ersten Geigern jeden einzelnen Treppabwärtsschritt des 88jährigen Haitink (der wohl nur noch letzte Werke dirigiert) mit besorgtem Blick verfolgt. Der Applaus wird dann für den Schreckensbruchteil einer Sekunde abreißen, als Haitink auf dem Weg in die Mitte des Orchesters ins Straucheln gerät. Ein anderer Geiger nimmt Haitink den Blumenstrauß ab und überbringt ihn der verdienten Flötistin, die der Dirigent ansteuern wollte.
Äußerste Achtsamkeit im Hinausgehen in die Nacht, ja leise aufzutreten, um nicht die eigene Hörerinnerung zu stören. Denn die eigenen Hörstörungen sind die schlimmsten.
Hier noch eine detaillierte Konzertbesprechung von Sascha Krieger
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