Gerade richtig: Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ an der Deutschen Oper

Eine schöne und grundgescheite und gerade richtig dicke Inszenierung in ihren besten Jahren ist das. Denn mit den neuen Les Contes d’Hoffmann in der Regie von Laurent Pelly hat die Deutsche Oper sich nicht die Katze im Sack gekauft, sondern eine Art Karlsson von allen Dächern, die bereits von Lyon bis San Francisco lief und (wie man im Kulturradio erfährt) später nach Neapel weiterschwirren wird. Dass es keine „richtige“ Neuproduktion ist, wird dem Otto Normaloperngeher wurst sein, vulgo fleischklößchen. Und wenn man, wie der Konzertgänger, die zweite und dritte Aufführung besucht (einmal im Rang, einmal im Parkett), ist das Premiere genug.

Bei der dritten Aufführung ist der Sohnemann dabei. Obwohl (oder weil?) die Aufführung vier Stunden dauert; zwei ausgiebige Pausen eingerechnet. Wer Verlängerungen und Elfmeterschießen bis Mitternacht hinkriegt, schafft auch so ein Jacques-Offenbach-Samstagnacht-Fieber.

Denn die gehören schon in die Nacht, diese drei Traum-Erinnerungs-Fantasien des Dichters Hoffmann in den Akten 2 bis 4, die immer albischer werden: die bizarre Olympia-Automaten-Szene; die Geschichte von Antonia Krespel, die an der puren Schönheit ihres eigenen Gesangs stirbt, der dramatisch dichteste und emotional berührendste Akt; und der gespenstischste und düsterste Giulietta-Akt, wo sich die nuit d’amour in die Nacht des Todes verwandelt, eine beklemmende Gesamt-Aussichtslosigkeit in betörendem Barcarole-Plingpling. Die Faszination dieses vierten, in Venedig spielenden Aktes hat gerade mit dem fragmentarischen, torsohaften Charakter zu tun, da Offenbach sein letztes Werk vor seinem Tod 1880 nicht vollenden konnte: In gewisser Hinsicht ist es aber gerade die zerstreute Form des Aktes, die ihn besonders modern, besonders „hoffmanesque“ macht, so Katharina Duda einleuchtend im Programmheft.

Laurent Pellys ausgefeilte, fantasiereiche Inszenierung ist nun im besten Sinn sowohl dem Werk als auch der Unterhaltung dienlich: eine sichere Bank. Poesie und Dämonie kehrt sie stärker hervor als den Witz, dennoch gibt es genug zu lachen; auch wenn einem viel davon im Hals stecken bleibt, sobald man an den immer wieder tirritierten, schabernackten Dichter Hoffmann denkt. Grandios der Automat Olympia als stolze Jungfrau, sie fliegt und schwebt, als hätte sie einen Propeller auf dem Rücken; erst ganz am Ende taucht der terry-gilliamsche Hebeapparat aus dem Schwarz des Bühnenhintergrunds hervor, frappanter Effekt. Antonia hingegen singt sich ums Leben in einem irrwischigen Kaleidoskop sich verschiebender Zimmer und Treppenhäuser, wo hinter jeder Ecke und jeder Tür der teuflische Doktor Mirakel auftaucht. Im fragmentarischen Venedig-Akt dann scheinen Räume und Zeiten ganz aufgelöst, Vorhänge schweben durch die dystopische Serenissima. In Bühnenbild, Lichtsetzung, Bewegung ist das alles umwerfend gekonnt. Welche Akribie drinsteckt, sieht man vom 2. Rang aus mit perfektem Blick auf den von Klebe-Markierungen übersäten Bühnenboden (welch Gegensatz zu den sparsamen Markierungen im eben wiederaufgenommenen langweiligen Fidelio Harry Kupfers an der Staatsoper). Im Parkett aber ist die pure Illusion vollkommen. Dort ist auch der Schlemihl im vierten Akt perfekt schattenlos; während der Licht-Effekt vom Rang aus verpufft.

Die eingefleischkloßten amis de Regietheatre mögen À-rebours-Bürstung und gedankliche Tiefenanalytik vermissen. Aber Offenbachs Grand Opérette ist aus sich selbst so reich an Facetten, Anspielungen und Abgründen, dass man völlig zufrieden ist, sie derart makellos hingestellt zu bekommen.

Denn auch (oder vor allem, je nach Standpunkt) musikalisch überzeugen diese Les Contes d’Hoffmann weitgehend, ohne dass freilich offenbachsche Weltwunderbäume ausgerissen würden. Wobei es ja allein schon ein sängerischer Wunderbaum ist, diese drei unterschiedlichen Sopranrollen Olympia, Antonia, Giulietta aus einer einzigen Kehle abzuliefern, wie es Cristina Pasaroiu beeindruckend tut – mit dem kleinen Auftritt der Mozartsängerin Stella im fünften Akt noch dazu. Wie Pasaroiu die Klang- und Charakterhebel umlegen kann, da ist man nicht sicher, ob man erkennen würde, dass das dieselbe Sängerin ist; wenn mans nicht wüsste. Olympias Koloraturen sind zauberhaft. Auch die lyrischen Passagen sehr schön,wenngleich Pasaroiu als Antonia vielleicht etwas „zu gesund“ wirkt, irdischer als so eine hoffmanesque-mesmerisierende Glasharmonika. Nur dramatisch streicht sie manchmal etwas ab, da wo’s der Zerrissenheit der Kurtisane Giulietta gilt. Ach, aber welche Höhen!

Beim Hoffmann ists umgekehrt, Daniel Johansson schmiert in der Höhe ab. Man könnte seinen Tenor  heldisch nennen; oder, etwas franker, unschön. Da fehlen doch Schmelz und flow, und in einigen schlimmen Momenten klingts gar nach Les Contes d’Hauswart. Aber! Aber: Da ist ja auch die erzählerische Seite einer Stimme. Erzählt dieser Hoffmann uns von Einsamkeit? Ja. Erzählt er uns von von Liebe, von Hoffnung und Verzweiflung? Ja. Au diable l’amour et vive l’ivresse. Sehr einsamer kleiner roter Hahn, dieser Hoffmann, vom besten Hähnemaler der Welt gemalt. Und auch der Zusammenklang mit Pasaroius Sopran im Antonia-Akt funktioniert.

Während das Barcarole-Duett von Pasaroiu und Irene Roberts‘ Hoffmann-Adlatus Nicklausse doch übers vorgesehne Maß schwankt, ja taumelt. Liegt es daran, dass die beiden recht weit auseinander auf Sofas liegen? Oder daran, dass der sängerische Eindruck von Roberts doch schwankt und taumelt? Einerseits sehr präsent, auch klangschön; andererseits manchmal flackerig. Und man würde bei der recht konsonantfreien Diktion auch nicht immer drauf wetten wollen, welche Sprache da gesungen wird.

Der Bariton Alex Esposito tritt wie Pasaroiu in Vierfachrolle auf, als Finsterling Lindorf/Coppélius/Miracle/Dapertutto: der dämonischste Streichemacher der Welt, ratet mal, wer das ist. Auch wenn diese Stimme nicht ständig vom dunklen Blech des Orchesters getragen würde, ließe ihre schwarzchoralige Posaunität einen erschaudern. Und im dritten Akt entfacht Esposito eine teufelsdramatische Glut sondergleichen.

Unter den kleineren Rollen keine Ausfälle. Der Chor wirkt zu Beginn, glou-glou, gluckgluck, doch etwas sehr betrunken, wie er da bedenklich inkongruent mit dem Orchester ins Geschehen torkelt; freilich muss er auch aus entfernter schwarzer Tiefe singen. Ist der Chor dann näher dran und Teil des Bühnengeschehens, ist er durchaus auf Klein-Zack. Das Orchester aber ist auf Groß-Zack. Ziemliche dramatische Wucht, etwa in diesem wiederkehrenden Nemesis-Motiv des dritten Akts, das Antonias täubchenhaften Gesang bedroht. Etwelche Soli überzeugen rundum. Und die gruselkomische Spannung des wiederkehrenden Finsterlingmotivs mit seinem langen Trillerschwanz wird ganz deutlich. Überhaupt ist man ganz stupisiert von Offenbachs Instrumentierungskunst, stets immens sängerdienlich, doch jederzeit instrumental befriedigend. Ein einziger Hörer ist bei der dritten Aufführung arg unzufrieden mit dem Dirigenten Enrique Mazzola und juchzt am Ende ausdauernd Buh; was ja im Umkehrschluss bedeutet, dass circa 1.800 Hörer nicht Buh rufen. Starker Applaus stattdessen für diese schönen, grundgescheiten, gerade richtig dicken Contes d’Hoffmann, die man guten Gewissens empfehlen kann.

„Premieren“kritiken von Schlatz, Ossowski, Luehrs-Kaiser, Hanssen, Uehling, Pachl.

Vier weitere Aufführungen im Dezember und Januar (teilweise in anderen Besetzungen)

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6 Gedanken zu „Gerade richtig: Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ an der Deutschen Oper

  1. Stimme Ihnen fast uneingeschränkt zu. Ich fand aber Frau Pasaroui im Duett im Venedig auch etwas dünne, wie auch die Barcarole.
    Was mich störte, waren die vielen Dialoge. Die hätte man sich sparen können. Im Olympia Akt nicht, aber im Venedig Akt.
    Ich schätze, die Buhs, waren wohl drei Personen, waren der „fehlenden“ Spiegelarie geschuldet. Hinter mir saß auch ein älterer Herr, der dauernd meckerte, bis ich etwas unwirsch wurde

    • Sie haben Recht, die Barcarole ging insgesamt ziemlich in die Hose. Auch der Chorteppich war nicht präsent. Unverständlich, dass man ausgerechnet an so einem Paradestück, dass jeder kennt, nicht arbeitet, bis es zumindest von den Proportionen her sitzt.
      Aber das war aufs Ganze gehört für mich ein kleiner Makel. Interessant was die Buhs angeht. Ich würde mir manchmal wünschen, der Applaus würde unterbrochen und der Buher bekäme ein Mikro (oder würde auf die Bühne gebeten), um zu erklären, warum er so unzufrieden ist.
      An sich aber nichts gegen Buhs (nur gegen einzelne Sänger find ichs grenzwertig), die bringen Leben in die Bude.
      Dialoge fand ich vom Maß her okay.

      • Gute Idee, aber ob die dann auch so mutig wären…… würde aber den Rahmen einer solchen Aufführung sprengen. Vielleicht in einem kleinen Theater.
        Fanden Sie oK??? Da ich der französischen Sprache, wie wahrscheinlich der überwiegende Teil der Besucher auch, nicht mächtig bin, erschließt sich mir der Sinn absolut nicht. Im Olympia Akt war es mir egal, weil Jörg Schörner es hervorragend darstellte.
        Ich habe nur Angst um die „Zweit“besetzung. Watson hat eine angenehme Stimme, aber die Partie kommt eindeutig zu früh. Die Engebretson kenne ich nicht, aber offensichtlich auch noch sehr jung

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