„Vivat Götz!“ schallt es aus Reihe 16 oder 17, nachdem der letzte Ton der Götterdämmerung verklungen ist und damit der erste von zwei Abschiedszyklen des Rings des Nibelungen vorbei. Aber genau mit dieser Götzdämmerung lässt die Deutsche Oper ja ihren Götz Friedrich hochleben, indem sie sich, wie er es schon zu Lebzeiten wollte, ab 2020 an einen neuen Ring macht. Für diesmal aber kommt der Konzertgänger mit guter Kunde zurück aus dem alten Ring. Noch einmal – zum letzten Mal – lächelte ewig der Gott.
Nur kaltschnäuzige Opernfreunde und, zugegeben, auch die ächzende Bühnenapparatur ersehnen schon lange das Ende der ewigen Qual. Fataler Hörfehler, denn Waltraute singt ja vom Ende der Ewigen Qual! (Wie macht man beim Singen Groß- und Kleinschreibung hinreichend deutlich?)
Aber Peter Sykora (nicht zu verwechseln mit Peter Sykora) hat im Jahr 1984 Wertarbeit abgeliefert, das Bühnenbild hält auch diesmal, selbst die Waberlohe erlodert und erlischt, wie sie soll – anders als zuvor beim Siegfried.
René Kollo und Peter Hofmann, Robert Hale und Simon Estes, Matti Salminen, Caterina Ligendza und Gwyneth Jones müssen sich dagegen nicht mehr quälen, knackfrische Sänger sind on stage. Herausragend zwei Einspringer: Erstens der Este Ain Anger als Hagen, mächtig orgelnd und voll tiefen nächtlichen Wehs, manchmal riskant expressiv bis an den Rand der Auflösung von Gesangslinien. Zweitens Daniela Sindram, die schon als Fricka mit großer Klarheit und Tonschönheit begeisterte und hier neben Waltraute auch der zweiten Norn, vom Rand gesungen, ihre Stimme leiht.
Stefan Vinke ist als Siegfried ein fast zu authentischer Helden-Wonneproppen, man wünschte ihm neben seinem überaus imposanten athletischen Schmettern manchmal mehr Farbe, Nuancen, gesangliche Momente; wunderbar ist er als „falscher Bariton“, wenn er in Gunthers Gestalt die Braut raubt. Evelyn Herlitzius schleift die Töne zwar gern von weit unten an, kommt aber immer gut ins Ziel; im zweiten Aufzug eine zorntremolierende Brünnhilde, die man nicht betrogen haben möchte, im dritten Aufzug tief bewegend, wenn sie die Hände zum Trichter formt und singt Ruhe, du Gott! Ricarda Merbeth, die im Siegfried Brünnhilde war, ist eine präzis hibbelige Gutrune. Den Bariton Seth Carico hat Mutter Natur mit einem dollen Organ gesegnet, das er (wie schon in Brittens Tod in Venedig) mit hoher Kunst einsetzt. Werner Van Mechelen ein starker Alberich, Nornen, Rheintöchter, Chor untadelig. Das Orchester unter Donald Runnicles sehr solide, ohne dass freilich Wagners Spannungsbögen allzu straff gespannt würden oder die klangfarblichen Funken allzu gefährlich flögen.
Selbst wenn er musikalisch schwächer gewesen wäre, hätte dieser Abschieds-Abend das Publikum in wildem Weh ergriffen. Denn Götz Friedrichs Inszenierung wirkt ja im letzten Teil der Tetralogie noch bezwingender als zuvor: Phänomenal, wie die Inszenierung den ausufernden ersten Akt plus Vorspiel verwebt und verdichtet. Auf schwarzer Bühne gibt der schwarze Hagen sich schwarzen Träumen hin (Hier sitz‘ ich zur Wacht), als hinter schwarzem Vorhang nur Brünnhildes erhellte Hand mit dem gleißenden Ring erscheint. Die ganze folgende Szene auf der Felsenhöhe mit der Verzweiflung Waltrautes und der Gewalttat des falschen Gunther erscheint wie eine Vision, ein wahr gewordener Wunsch-Albtraum des am Rande dämmernden Hagen.
Albern zuvor zwar der Kuss zwischen Gunther und Gutrune als unfruchtbare Wälsungen-Parodie. Doch die Gibichungenhalle ist noch immer beeindruckend mit ihren Säulen aus Nahgläsern, durch die alle Gestalten zur Unkenntlichkeit vergrößert erscheinen, am beklemmendsten der schlohweiß gewordene Schwarzalbe im zweiten Aufzug. Und wie plausibel wirkt das vereinzelte Riesengerümpel, das da herumsteht: ein versprengter Reichsadler, ein fliehendes Pferd.
Überwältigend schlechthin: das Wiedererscheinen des endlosen Tunnels im dritten Aufzug. Die Inszenierung ist ohnehin stark darin, frühere Elemente aufzunehmen, etwa wenn Hagens Mannen Siegfried (und dem Publikum) mit grellen Taschenlampen ins Gesicht leuchten, wie es schon Hundings (stumme) Männer in der Walküre bei Siegmund taten. Der Schluss des Ganzen aber nun, die berüchtigten letzten sechs Minuten! Die sind ja kaum inszenierbar, und szenisch befriedigend sind Lakenzauber & Schattenbilder als Feuer & Wasser auch hier nicht. Aber wie sich dann der Ring schließt und am Ende das Anfangsbild wieder da ist, das wir vor dem ersten Ton des Rheingolds sahen, eine Landschaft aus weiß verhüllten Gestalten – das ist atemberaubend.
Und man denkt: Ringdämmerung. Man hätte sich diesen Ring doch irgendwann zweimal direkt hintereinander ansehen sollen.
Tja, vielleicht im nächsten Leben. Vielleicht finden wir uns am Ende unseres Lebens ja auch am Anfang wieder. Vivat Götz. Der Motz-Verkäufer vor der Oper erinnert ein wenig an Hagen. Ein alter Mann im Rollstuhl lächelt melancholisch, als dächte er: Das war womöglich mein letzter Ring.
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Definitiv zweimal sehen. Wie sind glücklich, dieses Investment vor 2 Jahren getätigt zu haben. Herlitzius und der Eid auf den Speer- da verzeiht mam jeden schrillen Ton. Ich finde, sie macht alles durch die schauspielerische Qualität wett. Und was nutzt mir die 1a Besetzung, wenn das Gesamtbild nicht stimmt.
Volle Zustimmung. Genießen Sie heute die allerletzte Götterdämmerung!
Ich fand die Vorstellung etwas uneinheitlich – der erste Akt mit Schwankungen, der zweite Akt ziemlich danebengegangen, und erst im dritten Akt saß es dann. Natürlich spielte das Bühnenbild und das, was von der Inszenierung noch übrig ist, die Hauptrolle. Das Orchester war sehr gut aufgelegt, Runnicles dirigiert den Ring wirklich gut, und man kennt sich.
Mit Ain Anger war ich überhaupt nicht einverstanden und erst recht nicht mit dem starken Applaus des Publikums. Wir sind alle froh, daß er eingesprungen ist und die Vorstellung gerettet hat. Daß er oft nicht wußte, wo er zu stehen und wie er zu agieren hat – Einspringerpech. Aber rein musikalisch fand ich die manchmal tatsächlich falschen Noten, mehrere verpaßte Einsätze und die Stimmbehandlung problematisch, wo man lange Zeit nicht wußte, ob die Stimme jetzt noch anspringt oder nicht.
Stefan Vinke hat natürlich ungeheure Qualitäten, wenn es um laute hohe Noten geht; das „Hoihe“ im dritten Akt, wo es vom hohen C auf das Fis heruntermuß, hat er zelebriert, wie es sonst wohl niemand derzeit kann. Aber die kleinen Noten, die Präzision haben gefehlt. Evelyn Herlitzius ist eine ungemein beeindruckende Erscheinung auf der Bühne und agierte im Gegensatz zu vielen anderen sehr lebhaft und überzeugend (wie früher Gwyneth Jones, Hildegard Behrens und die vielen anderen, die in dieser Inszenierung die Brünnhilde gesungen haben und die ich noch erleben durfte) – nur ist ihre Stimme in den letzten Jahren stark gealtert – leider!
Vom Gesang her haben mir ehrlich gesagt die Rheintöchter am besten gefallen – kultiviert, perfekt in Rhythmus und Dynamik aufeinander abgestimmt, auch szenisch meist auf der Höhe.
Der Götz-Friedrich-Ring wird mir fehlen; diese Götterdämmerung hat den Abschied etwas leichter gemacht, denn szenisch gab es viele Leerstellen. Ich bin gespannt auf die nächste Lesart. Aber heute gehe ich erst einmal ins allerletzte Rheingold – denn diesen Ring sollte man sich manchmal wirklich zweimal hintereinander ansehen!
Herzlichen Dank für die Einwände! Ja, vielleicht habe ich ja bei Anger manches als „riskant expressiv“ gehört, was einfach falsch war … und ja, einige Verse fehlten komplett, auch noch im 3. Aufzug („Und folgtest du des Vögleins Rate?“). Aber ich finde, er hatte doch eine enorme Wucht und Präsenz.
Zu Vinke und Herlitzius volle Zustimmung und die Rheintöchter haben in der Tat Lob verdient.
Welchen der 3 Wotane (bzw Wanderer) fanden Sie denn am besten?
Ich beneide Sie um den zweiten Durchlauf des Rings. Würde mich sehr freuen, wenn Sie noch Ihre Eindrücke davon berichteten!
Ain Anger hätte ich gerne gehört, sein Landgraf im März war sehr hörenswert. Vinke ist nicht so mein Fall. Herlitzius hat ihre Macken (und ihre Stimme inzwischen auch), aber bei ihr fesselt doch jeder Ton. Wenn ich Ihre Kritik lese, tut mir’s doch Leid, dass ich keine Karten besorgt habe. Jammerschade, dass man keine Operninszenierungen renoviert, die entsprechenden Ausbildungsinstitute sollten hierzu Lehrgänge und Studiengänge anbieten. Möge dem Herrn im Rollstuhl ein weiterer Zyklus gegönnt sein.
Wunderbare Kritik. Merci
Toll, danke für die schöne Kritik