Dreigewittrig: Akademie für Alte Musik pastoralisiert

Pastorale mit Fortbildungsbeilage. Und mehr als das, ein Vergnügen! Die Akademie für Alte Musik Berlin (derzeit übrigens eins von zehn nominierten Ensembles als Gramophone Orchestra of the Year, über das man hier abstimmen kann) kombiniert im Konzerthaus Beethovens bekanntlich keineswegs unverwüstlichen Klassiker mit zwei ähnlich und doch ganz anders gewittrigen Werken von Ignaz Jacob Holzbauer und Justin Heinrich Knecht.

In Holzbauers kurzer Sinfonie Es-Dur op. 4, Nr. 3 von 1769 zieht der Sturm erst im letzten Satz auf („La tempesta del mare“). Elegant und unterhaltsam ist diese Musik anzuhören, das finale Gewitter für den heutigen Hörer nicht gerade zum Untermbettverkriechen. Der Konzertgänger hört noch Vivaldi darin, aber vielleicht hört er den bloß, weil er halt sonst nicht endlos viele Wetter-Musiken aus dem 18. Jahrhundert kennt. Aber hörend wird klar, dass das hier vielleicht keine hoch individuelle, aber doch sehr gekonnte Musik ist. Die beschwingte Akademie unter Leitung des geigenden Konzertmeisters Bernhard Forck spielt keine Konfektionsware, das Aufführungsmaterial hat man sich überhaupt erst von der Forschungsstelle Südwestdeutsche Hofmusik der Heidelberger Akademie der Wissenschaften besorgt.

Der Name Justin Heinrich Knecht ist hingegen jedem schon mal vorbeigegeistert, der je eine Beethovenbiografie gelesen hat oder auch nur ein Programmheft zur Pastorale – so frappant scheinen die Parallelen. Und doch auch wieder nicht, wenn mans hört. Jedenfalls ist Knechts Le portrait musical de la nature, ou Grande simphonie von 1785 viel kurzweiliger, als sie in den Aufnahmen des Bulgowischen Klassikradio-Orchesters schien, die man sich irgendwann mal auf Youtube erstöbert hat. Klar denkt man beim Ablauf Schöne Gegend – Heftiges Gewitter – Happy Dankgesang an Beethoven, und auch in der Umsetzung gibt es Ähnlichkeiten. Aber man hörts auch einfach so gern. Außerordentlich, wie das (nicht zu kurze) Idyll erstarrt, unbehaglich wird. Trompete und Pauke machen das aufziehende Unwetter dann gewittriger als das von Holzbauer, da verkriechen sich zumindest mal die Fußspitzen unterm Bett. Hier sind mehr Donner und weniger Geistesblitze als bei Beethoven, aber hörenswert ist es allemal. Und natürlich liegen auch einige Ähnlichkeiten auf der Hand, wenn man ein Gewitter komponiert – und das Danach: Denn so ein Unwetter hatte dannemals halt noch ein anderes existenzielles Kaliber (man lese dazu nur den Werther, wo ein Sturm auf dem Lande die Herzen zueinander treibt). Bei Knecht ist die Dankeshymne ein abwechslungsreicher Variationensatz.

Voller Geistesblitze schließlich B.’s F-Dur-Sinfonie op. 68. Etwa, dass der Donner vor dem Blitz ertönt oder der Kuckucksruf eine große statt der bekannten kleinen Terz hat (wobei Kuckucke ja von Sekunde bis Quinte können). Das wirkt distanzierend: wie ein Kulturlaut, frei nach Mahler.

Dass die Textur des Orchesters viel klarer wirkt als bei Holzbauer und Knecht: Liegts an den Kompositionen, an ihrer jeweiligen (Un-)Bekanntheit oder an den Interpretationen? Vielleicht alles. Diese Pastorale aber ist frei von jeder Flauschigkeit. Die kleine Streicherbesetzung (6 erste, 5 zweite Geigen, 4 Bratschen, 3 Celli, 2 Kontrabässe) macht das Holz viel präsenter, das Klangbild scheint wie von ganz allein ausgewogen. Forck leitet sachlich, den Takt schlagen diese Musiker sich schon allein. Die Landleute sind lustig, nicht behäbig. Der harmonische Minimalismus einiger Passagen ist betörend, die Krassheit des Gewitters unerhört (da vergisst man vor Begeisterung, sich unterm Bett zu verkriechen), die Wirkung der hinzutretenden Posaunen im Finale überwältigend. Das dräuende Beethoven-Jahr wäre ja im Grunde ein prima Anlass, mal ein Jahr lang überhaupt keine Beethoven-Sinfonien zu spielen. Aber wenn, dann so: Denn das ist eine jener Aufführungen, nach denen man denkt, dieses Stück möchte man nie wieder anders hören. Und das schreibt einer, der einst bei einer Pastorale die Frau seines Lebens kennengelernt hat!

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