Am vierten Advent geht’s mit Opa in die Oper! Und selbstverständlich auch mit den Kindern.
Dass Donald Runnicles seinen Vertrag als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin kürzlich bis 2022 verlängert hat, ist schon deshalb erfreulich, weil er nicht nur interessante Premieren macht, sondern auch regelmäßig angejahrte Repertoire-Ware entstaubt und musikalisch aufpoliert. Am vierten Advent nun passenderweise einen vorweihnachtlichen Klassiker: Andreas Homokis phantasiereiche tannengrün-kerzenrote Inszenierung von Engelbert Humperdincks Kinderstubenweihfestspiel Hänsel und Gretel, in der die Engel wie Roncalli-Clowns aussehen.
Schon in der Ouvertüre, deren Thema der Abendsegen: Vierzehn Engel um mich steh’n vorgibt, inklusive des intensivsten Dominantseptakkords der Weltgeschichte, wird deutlich: Runnicles malt Humperdincks zwischen Kinderlied und Wagner changierende, immer farbenprächtige Musik exakt, aber doch mit angemessen breitem Pinsel. Gut so, denn der Sinn einer Ouvertüre (= gehört zur Oper, d.h. sollte angehört werden) leuchtet leider nicht jedem Hörer ein. Auch scheint nicht allen Eltern klar zu sein, dass diese Märchenoper für Kleinkinder nur bedingt geeignet ist, handelt es sich doch um ein durchkomponiertes Musikdrama. Die Deutsche Oper empfiehlt ab 10, es mag bei vielen Kindern auch ab 6 gehen, aber darunter wird’s schwierig.
Nimmt man aber an Familientagen in Kauf. Tipp zur richtigen Platzwahl: Je näher man an Orchestergraben und Bühne sitzt, desto niedriger ist die Schall-Mauer, die die Musik überwinden muss.
Und das sollte sie unbedingt! Denn nicht nur das Orchester der Deutschen Oper leuchtet und strahlt mit warmen Streichern und volltönenden Bläsern.
Auch die Sängerbesetzung ist durchweg erfreulich. Am wichtigsten ist, wer könnte das bezweifeln, die garstige Knusperhexe. Den großartigen Burkhard Ulrich (denn so richtig fetzt Humperdincks Hexe nur, wenn ein Tenor sie singt) hat man schon mit mehr Power gehört als an diesem Sonntag um 14 Uhr, was für eine echte Hexe auch viel zu früh am Tag ist. Aber Ulrichs Bühnenpräsenz ist enorm, schreiend komisch und zum Schreien grausig; wenn die Hexe juchzt, hüpft die Tochter des Konzertgängers jedesmal vor entsetzter Freude in die Luft. Der Sohn findet die Hexe so knusprig wie bereits ein halbes Leben früher, damals traute er sich nach der Pause kaum zurück in den Saal, worüber er heute souverän lächelt.
Die Mezzosopranistin Annika Schlicht ist ein guter Hänsel, die Sopranistin Martina Welschenbach eine erstklassige Gretel. Die junge puertorikanische Stipendiatin Meechot Marrero hat als Sand- und Taumännchen noch kleinere Probleme in der Feinjustierung, etwa bei den morgendlichen Einsätzen im dritten Akt, aber man hört da wohl eine starke Stimme wachsen.
Zwei Stars werten Runnicles‘ Renovierung mächtig auf: Markus Brück singt mit seinem charismatischen Bariton den warmherzigen, aber zuviel bechernden Vater. Und auch wenn die Mutter von Humperdincks sentimentaler Librettistin Adelheid Wette ohnehin mit so viel menschlicher Wärme und sozialer Sensibilität charakterisiert wird, dass die Figur mit der bösen Stiefmutter der Gebrüder Grimm nicht mehr das Geringste zu tun hat, so verleiht Michaela Kaune ihr darüber hinaus eine anrührende psychologische Tiefe. Dass ihr Timbre himmlisch klingt und ihre Diktion lehrbuchhaft deutlich ist, tut ein Übriges.
Eine knusprige Inszenierung, die Appetit auf Humperdinck, Grimm und Weihnachten macht. Und auf Lebkuchen: Köstlicher Kuchen, wie schmeckst du nach mehr!, tirilieren Hänsel und Gretel im Duett. Oder wie die olle Hexe mit schön korrekten Imperativen zischt: Friss, Vogel, oder stirb, Kuchenheil dir erwirb!
Weitere Aufführungen am 19. und 23. Dezember sowie am 1. Januar. Wer die volle Packung Humperdinck knuspern will, gibt sich zudem am 23.12. die konzertante Aufführung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester. Die Chance auf so ein Doppel gibt’s nur einmal im Leben, die kommt nicht wieder!
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Na, vielleicht knuspere ich mich noch durch die RSB-Aufführung, wenn ich nach dem Walküren-Schinken noch Lust habe.
@Runnicles
Runnicles gefällt mir allmählich besser, von daher war es schade, dass Runnicles den Lohengrin nicht dirigierte. Ich denke, bis 2022 bin ich ein glühender Runnicles-Fan.
@intensivsten Dominantseptakkords der Weltgeschichte
Den darf ich mir nicht entgehen lassen. Also doch zum RSB.
Ich mag Runnicles, auch wenn ich einige Verächter kenne. Man muss immer auch schauen und hören, was man an einem Dirigenten hat, nicht nur auf das achten, was vielleicht manchmal fehlt.
Glut braucht ihre Zeit.
Nach Wagner und Strauss „Hänsel & Gretel“ konzertant zu machen, finde ich so schräg, das muss sein. Echter Janowski. Dafür lass ich die „Walküre“.
ohhhhhhhhhhh, jetzt muss ich das wohl auch noch in meinem vollen Kalender unterbringen