Den dunkelwarmen Klang, den Metzmachers überragende Bruckner-Vierte beim DSO verweigerte, schenken Christian Thielemann und die Berliner Philharmoniker bei Anton Bruckners Symphonie Nr. 7 E-Dur im Übermaß. Drei Abende lang, hier geht’s um den zweiten.
Bei Metzmacher klang Bruckner ganz anders, als man ihn sich vorstellte, und das war gut so – aber auch Geschmackssache, ein älteres Ehepaar ging nach dem ersten Satz. Bei Thielemann klingt Bruckner, wie man ihn sich vorstellt, und das ist auch gut so, grandios, glorios. Aber ebenfalls Geschmackssache.
Hörerwartungen vollkommen zu erfüllen ist ja keine geringe Leistung, aber denkbare Einwände wären: Die einzelnen Abschnitte verlöschen eher, anstatt abzuschließen oder überzuleiten. So wirkt die Symphonie mitunter nicht organisch, sondern fast aneinandergeklebt. Im Ergebnis eine klangschöne, ausgewogene, aber seltsam beruhigende Siebte im Gegensatz zu Metzmachers aufwühlender Vierter. Jede Eruption erscheint hier als Ausdruck einer höheren Ruhe.
Andererseits darf man als ehrlicher Hörer nicht jeden verlorenen Faden und jeden Spannungsverlust den Interpreten zuschreiben.
Überwältigendes, auch im üblen Backofen von Block G rechts oben: Wie Thielemann sich verausgabt und, im Wortsinne, hineinkniet. Das ist wirklich Musizieren mit Haut und Haaren. Die schweren Seufzerwellen und Mischklangwogen des Kopfsatzes. Die breit strömende Musik des Adagio, der herrliche Klang der vier Wagnertuben (während der scharfe Schmerz nicht recht schneiden will). Den geliebten, aber ja in der Tat leicht idiotischen Beckenschlag würde Metzmacher vielleicht weglassen; doch die einsame Flöte (Emmanuel Pahud) wirkt danach noch gottverlassener. Das Scherzo fast etwas schunkelig, aber klar konturiert. Das Finale fällt nicht ab.
Das Ehepaar, das bei Metzmacher nach dem ersten Satz rausging, wäre hier gut aufgehoben gewesen. Oder war es, wer weiß. Tosender Beifall.
Wofür definitiv kein Musiker etwas kann, ist das Ärgernis, dass in jede Pause und in jeden Umbruch ein Depp hineinhustet. Heidenrespekt für die Musiker, die da Contenance bewahren.
Sicher nicht reingehustet hat der Pianist Rudolf Buchbinder, der sich in Block A Bruckner anhört. Man sieht ihn, bevor das Orchester das Podium betritt, sein Smartphone ausschalten. Vor der Pause hat er (Überstunden-Programm!) Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 gespielt. Friedrich Gulda habe ihn vor circa 120 Jahren, so Buchbinder (sinngemäß) in einem Interview, einmal gefragt, ob ihm der ewige Beethoven nicht auf den Senkel gehe. Aber er, Buchbinder, entdecke ja jedesmal Neues, nicht zuletzt überraschende Fingersätze. Wer selbst Klavier spielt, und sei es noch so kläglich, weiß, dass das nichts Geringes ist, sondern eine Quelle des Glücks.
Nichts von kläglich und auch keine Spur von Routine in Buchbinders Spiel. Vorteil für den Typus Musiker, der Brillanz durch Objektivität erreicht, nicht durch Ekstatismus! Buchbinders klarer Anschlag verwandelt die Läufe und Arpeggien am Ende der Kopfsatz-Durchführung in apollinische Lichtstrahlen.
Die Berliner Philharmoniker wohltönend, besetzungsbedingt klingen die Streicher manchmal überproportioniert, das Ganze etwas breit, gelegentlich behäbig. Am schönsten finden Buchbinder und das Thielemann-Klangideal im andächtigen Largo zusammen. Innige Klarinette Wenzel Fuchs. Im Rondo fällt auf, dass Buchbinder erheblich mehr Sinn für Witz zu haben scheint als Thielemann. Sehr kommunikatives Dirigat dennoch.
Als Zugabe das Scherzo aus Beethovens Klaviersonate Nr. 18 Es-Dur („Die Jagd“) op. 31/3, so atemberaubend spielfreudig und ausdifferenziert, dass man meint, der Beethoven auch erstrangiger Pianisten wirkt mit Buchbinder verglichen gleichförmig. Wehmütige Erinnerung an Buchbinders siebenteiligen Beethovenzyklus vor einigen Jahren, bei dem der Kammermusiksaal meist halbleer war. Dabei war es ein viel größeres musikalisches Vergnügen, den Meisterpianisten dort zu hören statt in der Leere des rappelvollen Großen Saales.
Weitere Kritiken zu diesem Konzert (zum ersten Abend): Schlatz, detailliert v.a. zu Beethoven / Tagesspiegel
Thielemann hat ja dieSiebte inzwischen mit den Münchnern einmal und mit den Dresdnern zweimal aufgenommen auf CD und DVD und auch die hier beschriebene kann man sicher bald zumindest in der Digital Concert Hall nachhören. Ich finde ihre vorsichtige Art der Analyse sehr sozial. 🙂
Naja, sozial würde ich das nicht nennen, nur vorsichtig, weil ich immer in Erwägung ziehe, dass meine Ohren im fraglichen Konzert einfach vernagelt waren. Das soll ja vorkommen. Außerdem mag ich die Attitüde nicht, dass die begeisterte Mehrheit alles taube Trottel wären.
Sie kennen natürlich die einschlägige Diskographie!
Nein im Ernst, so fachkundig und doch so, dass sich niemand beleidigt fühlen muss; das finde ich aller Ehren wert. Ich schaffe das in dem Klassikforum, wo ich schreibe, nicht so oft trotz aller Mühe. 🙂 Chapeau!
@Beckenschlag
Gehört einfach dazu. Ich würde ihn vermissen.
Thielemanns Beethoven war doch enttäuschend. Aber wer’s mag…
Natürlich freu ich mich auch immer über den Beckenschlag. Trotzdem, ohne wärs doch irgendwie organischer und schlüssiger. Aber vielleicht ist das ja zu protestantisch gedacht.
Ich finde aber, man sollte öfter die verschiedenen Versionen spielen. Auch wenn man am Ende feststellt, dass die verbreitetsten doch die besten sind. Aber ich würde z.B. gern mal die Vierte mit dem ersten Scherzo hören.
Das Becken habe ich ehrlich gesagt gar nicht bewusst gehört, fällt mir gerade ein, aber den Triangeltriller finde ich immer sehr hübsch.
Ja, auf jeden Fall mehr Versionen, obwohl generell eigentlich schon die Urfassungen vorzuziehen sind. Ich erinnere mich, wie Harding einmal eine unheimlich schnelle 4. (LSO) spielte und dann kam das unbekannte Scherzo.