10.7.2016 – Traummörderisch: Salvatore Sciarrinos „Luci Mie Traditrici“ an der Staatsoper

Gesualdo3Was Brachvogel sein Friedemann Bach und Bartsch sein Schwammerl-Schubert war, ist der Avantgarde ihr Carlo Gesualdo (1566-1613): Es wurden nicht nur Gesualdo-Romane geschrieben und ein Gesualdo-Film gedreht (von Werner Herzog), sondern in den letzten 20 Jahren mindestens vier Gesualdo-Opern komponiert – von Alfred Schnittke, Franz Hummel, Marc-André Dalbavie und Salvatore Sciarrino. Konjunktur eines Stoffs, als lebten wir in seliger Barockoperzeit! Und während sich die alten Komponisten wenig um die historischen Xerxes oder Nero scherten, so geht es heute mehr um den durchgeknallten Ehrenmörder Gesualdo als um seine betörenden Madrigale mit ihrer visionären Harmonik und exzessiven Chromatik:

Der 1947 geborene sizilianische Komponist Salvatore Sciarrino hat sich allerdings in einigen anderen Werken kompositorisch mit Gesualdos Madrigalen auseinandergesetzt. Hier kann man ein Original und Sciarrinos Bearbeitung im direkten Vergleich hören:

https://youtu.be/tuA_V2-jqjY

In Sciarrinos 1998 uraufgeführter Oper Luci mie traditrice, die jetzt in der Staatsoper ihre Berliner Premiere feierte, geht es – man muss fast sagen, konventionellerweise – um den Mord an seiner Ehefrau und deren Liebhaber, den Gesualdo mit 24 Jahren beging. Dass er später ein bedeutender Komponist wurde, tut für die Story nichts zur Sache. Sciarrino zitiert deshalb auch keine Musik von Gesualdo, sondern macht einen elegischen Ohrwurm von Claude le Jeune (1530-1600) zum Leitmotiv: zunächst von Kinderstimmen hinter der Bühne gesungen, dann in immer neuen instrumentalen Varianten zwischen den einzelnen Bildern des (alb)traumhaften Geschehens – zuletzt bis zur Auflösung ausgedünnt, eine sehr leise melodische Linie in höchster Lage, kaum mehr hörbar über intensivem Atmen, Wehen, Pusten und unheimlichen Paukenschlägen. Fremder, faszinierender Klang.

Diese Zwischenspiele verschmelzen aufs Schönste mit dem typischen Sciarrino-Sound, der die Bilder selbst beherrscht und in dessen Zentrum die menschliche Stimme steht: sprechend, rezitierend, Wörter auspustend und Buchstaben verschluckend, seufzend, keuchend, japsend. Dialogisch, aber mit irritierenden Gleichklängen, die zwischen den Sängern hin- und herrollen. Was sich aus den mysteriösen Sprachgesten zusammensetzt, ist im Gesamtklang ziemlich kantabel. Und so wie die Handlung trotz ihrer Schleierhaftigkeit erstaunlich geradlinig scheint, ein an der Oberfläche fast klischeehaftes Eifersuchtsdrama, so dringen immer wieder markante Schlüsselbegriffe wie sospiro oder traditore durch, dass man sich sekundenweise in einer Verdi-Oper wähnt. Einer Verdi-Oper allerdings, in der jeder zweite Ton fehlt und die Sänger im besten Sinn außer Atem und Fassung sind.

Sprechgesungen wird von allen vier Sängern, zwei Baritonen und zwei Mezzosopranen, bravourös: Otto Katzamaier ist als Graf Malaspina, wie Gesualdo im zugrunde liegenden Barocklibretto von Giacinto Andrea Cicognini heißt, ein so zittriger Kraftprotz, dass man ihm den traumverirrten Frauenmörder jederzeit abnimmt. Christian Oldenburg mimt überzeugend den von Cicognini etwas albern hinzugefügten, aber Sciarrinos Doppelgänger-Passion entgegenkommenden Diener, in dem der verliebte Graf sich spiegelt und den er, da er schon mal dabei ist, gleich mitmeuchelt. Katharina Kammerloher singt eine leidenschaftliche, farben- und facettenreiche Gräfin, deren Liebhaber ebenfalls ein Spiegelbild ist und darum im gleichen Stimmfach sprechsingjapst (Lena Haselmann). So rhythmisch vertrackt das alles scheint, so präzise klingt es durchweg.

Selbiges gilt für die mit nur 21 Musikern besetzte Staatskapelle, in der naturgemäß vor allem die keuchenden, klappernden, zungenschnalzenden Bläser filigrane Schwerstzauberarbeit zu leisten haben, allen voran die Flöten (Claudia Stein und Thomas Richter). Dirigent David Robert Coleman, famoser Generalmusikdirektoradjutant der Staatsoper fürs zeitgenössische Fach, macht auf faszinierende Weise hörbar, warum diese sinnliche „Nachtmusik“ ihn an Mahler und Bartók erinnert.

Nicht übermäßig inspiriert wirkt die Regie von Jürgen Flimm, die das Geschehen in einem aus bourgeoiser Resterampe möblierten Zimmer ansiedelt, plus Spielzeugburg in der Ecke. Schön, wie bereits im ersten Bild ein Riss in der Wand entsteht; dass die Wand im Schlussbild dann prosaisch niederkracht und zeigt, was dahinterliegt (nämlich nichts Interessantes), ist eine Schnapsidee, ungefähr so, als würde in Kafkas Bau am Ende der große Unbekannte zur Tür hereingucken. Die schwarzen Flügel, mit denen der Graf sich am Ende in einen schwarzen Schwanenritter verwandelt, wirken so beliebig wie das unausbleibliche Pistolengefuchtel und die Hampeltänzchen des Dieners hinter dem Gazevorhang während der Zwischenspiele.

Kein Vergleich mit den enigmatischen Räumen, die etwa Katie Mitchell in Le vin herbé und Neither/Footfalls an der Staatsoper geschaffen hat. Aber auch wenn Flimms solide bis betuliche Traumwelt das Arkanum von Sciarrinos Musiktheater nicht groß bereichert, so drängelt sie sich immerhin auch nicht vor diese so luftigen wie leidenschaftlichen Klänge. Die Musik genügt ja, den Hörer in seiner Welt zu verzaubern. Als der Konzertgänger nach Hause radelt, hört er im Bumpern der Schwelle vor der Levetzowbrücke, die ein Auto überquert, den Herzschlag des Grafenpaars. Die Dingwelt wird ihm lebendig, er sich selbst zum befremdlichen Gegenstand.

Vier weitere Aufführungen bis zum 16. Juli. / Zum Anfang des Blogs

 

7 Gedanken zu „10.7.2016 – Traummörderisch: Salvatore Sciarrinos „Luci Mie Traditrici“ an der Staatsoper

  1. ah, wieder aktiv….. Nein für mich ist Schluss, diese Saison, egal wie. Sonntag bei der Wärme in der Komischen, hats gereicht. War übrigens auch herrlich diese Cendrillon. Gibt’s leider in der neuen Spielzeit nicht

  2. Ah, Sie sind wieder im Lande. Der Crash der Wand schoss den Vogel ab. Trotzdem nicht schlecht, wie Flimm vor der eigenen Premiere mit altersweise gesenkten Augendeckeln durchs Foyer stromert. Coleman war in der Tat sehr überzeugend.

    • Ja, er schaute auch zuvor so nett von der linken Seitentür ins Parkett, altersweise und zugleich freudig gespannt wie ein Kind. Was die Regie angeht, macht er halt noch seinen Stiefel, gibt Schlimmeres.
      Ich hoffe, dass es mit Sciarrino weitergeht. Hatten Sie Lohengrin in der Werkstatt gesehen?

Schreibe einen Kommentar