16.7.2016 – Hörstörung (5): Zisch bei Sciarrino

Noch eine nicht unangenehme Hörstörung: Während sich in Szene III von Salvatore Sciarrinos Oper Luci mie traditrici, die der Konzertgänger am Samstag zum dritten und letzten Mal in der Staatsoper im Schillertheater nicht sah (denn diesmal hielt er die Augen siebzig Minuten lang geschlossen), sondern hörte, wobei er feststellte, dass diese Musik jedesmal noch schöner und noch reicher wird, die ehebrecherischen Stimmen der vorzüglichen Mezzosoprane der Gräfin und des Gasts, vom Flageolieren, Flackern, Fiepsen des Kammerorchesters umflattert, auf- und ineinander rankten, wanden, schlangen, ließ sich im Rang plötzlich ein organisch sich einfügendes Zischen vernehmen, wie es beim Öffnen einer warmen Flasche kohlensäurehaltigen Mineralwassers entsteht.

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15.7.2016 – Hörstörung (4): Plopp bei Stockhausen

Während der im Rahmen des heute endenden Festivals Infektion! vom Pianisten Adrian Heger in der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater so beeindruckend kompetent wie spielfreudig dargebotenen Klavierstücke I bis IX (1952-61) von Karlheinz Stockhausen, die der Konzertgänger sich zwischen einem erneuten Besuch von Salvatore Sciarrinos zwar recht oberflächlich, mitunter rosenkavalierchargenhaft inszenierter, doch sagenhaft schön tönender Oper Luci mie traditrici (heute zum letzten Mal) und dem an Hegers Rezital anschließenden Gesang der Jünglinge, Stockhausens elektronischer Pioniertat, einer im Jahr 2016 historisch interessanten, wenngleich akustisch öden Hörerfahrung, mit wachsendem geistigen und seelischen Gewinn anhörte, kam es – und zwar im III. oder IV. Klavierstück, die im Gegensatz zu den späteren, aus dem und in den Klang entstehenden, figurationenreichen Stücken für Konzertgängers Ohren noch nach bloßer serialistischer Parameterware klingen – zu einem unerhörten Ereignis, als in der streng determinierten Abfolge von Dauern, Höhen und Farben plötzlich das aus jeder Ordnung schlagende Ploppen des Bügelverschlusses einer Bierflasche zu hören war.

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10.7.2016 – Traummörderisch: Salvatore Sciarrinos „Luci Mie Traditrici“ an der Staatsoper

Gesualdo3Was Brachvogel sein Friedemann Bach und Bartsch sein Schwammerl-Schubert war, ist der Avantgarde ihr Carlo Gesualdo (1566-1613): Es wurden nicht nur Gesualdo-Romane geschrieben und ein Gesualdo-Film gedreht (von Werner Herzog), sondern in den letzten 20 Jahren mindestens vier Gesualdo-Opern komponiert – von Alfred Schnittke, Franz Hummel, Marc-André Dalbavie und Salvatore Sciarrino. Konjunktur eines Stoffs, als lebten wir in seliger Barockoperzeit! Und während sich die alten Komponisten wenig um die historischen Xerxes oder Nero scherten, so geht es heute mehr um den durchgeknallten Ehrenmörder Gesualdo als um Weiterlesen