Wenn das älteste Orchester der Welt die Welthauptstadt der klassischen Musik (poltere nicht, flüstert seine Frau dem Konzertgänger zu) beehrt, wer wollte da nicht kommen? Leider einige, die Philharmonie ist ziemlich leer, wie so häufig bei Gastspielen auswärtiger Orchester, die nicht Wiener Philharmoniker oder Concertgebouw Orkest sind. Schön, dass dass das Musikfest Berlin den Luxus erlaubt, hier Orchester vorspielen zu lassen, für die sich Gastspiele auf eigene Faust schwerlich rechnen würden. Sogar die dänische Prinzessin Benedikte ist mitgekommen! Auch wenn man als Berliner im Orchester- und Opernparadies lebt (poltere nicht, flüstert…), ist es gut, über den Tellerrand zu schauen.
Die Königliche Kapelle Kopenhagen, die hier als The Royal Danish Orchestra auftritt, aber auf Dänisch als Det Kongelige Kapel am schönsten heißt, gilt als das älteste Orchester der Welt: Sie existiert seit 1448 und damit glatt 100 Jahre länger als die Sächsische Staatskapelle; unsere 1570 erstmals erwähnte Berliner Staatskapelle ist dagegen ein junger Hüpfer. (Preisfrage: Welches ist das älteste Orchester Deutschlands? Keines der genannten. Die Antwort steht hier.)
Det Kongelige Kapel ist aber auch das Orchester, in dem Carl Nielsen ab 1889 die zweite Geige spielte, der (wie der dänische Botschafter hübsch schreibt) in Dänemark weltberühmte Komponist. Ein Pflichttermin also für Nielsen-Fans und alle, die es werden wollen! Und das sind sehr viele Menschen, weltweit; einige von ihnen wissen es bloß noch nicht.
Nichts geeigneter, um Fan zu werden, als Carl Nielsens explosive Fünfte Symphonie von 1921/22. Dieses zweiteilige Werk ist eine Urgewalt, die jeden Hörer wegbläst – gerade im Kontrast mit den herrlichen idyllischen und hymnischen Passagen, die den Brachialpassagen Kontra geben. Den lieblichen Terzwellen, mit denen die Symphonie beginnt, den Gesängen und lustvollen Figuren der Fagotte und Flöten wird im Lauf der Symphonie böse zugesetzt, vor allem von der immer garstiger dreinfahrenden Trommel. Die ohnehin bescheidenen Klavierkünste des Konzertgängers stoßen bereits an ihre Grenzen, wenn seine Tochter im Nebenzimmer wüst gegen den Takt trommelt; aber bei Nielsen und der Königlichen Kapelle obsiegen Ordnung und Schönheit. Doch bis es soweit ist, tobt eine überwältigende Schlacht, der beizuwohnen jeden Hörer packen muss; auch wenn die die Königliche Kapelle unter Michael Boder das Werk eher nüchtern und vielleicht manchmal etwas penibel spielt. Mehr Gewalt wäre schön gewesen. Atemberaubend zart spielt der Klarinettist am Ende des ersten Satzes. Der zweite Satz führt dann von einer ulkigen Fuge in einer langen Steigerung zu einem anton-brucknersch-john-williams’schen Schlusshymnus, der abrupt endet.
Vor Nielsens Weltenkampf hat es bereits Regenbogen- und Mondmusik gegeben: zunächst Per Nørgårds Iris (1966), das wie eine Reflexion über das Einstimmen klingt, wenn die vielfach geteilten hohen Streicher sich mit den Flöten allmählich auf dem A treffen. Der Klang dehnt sich in die Tiefe aus, hin zu Posaunen, Basstuba, Bassklarinette, Tamtam. Als man allmählich fürchtet, dass das Werk auf dieser A-Suche erstarren wird, setzt die Klarinette einen einfachen, in Vierteln schreitenden Gesang entgegen, der im Orchester sein Echo findet, u.a. in der gestopften Trompete – ein schwebender, mystischer Klang, der den Konzertgänger an Charles Ives‘ The Unanswered Question erinnert.
In Arnold Schönbergs Erwartung (1909) darf der Mond in Celesta und Harfe silbrig schimmern; wenn die schöne Harfenistin dann wehende Papierfetzen in die Harfe flicht, um den fast unhörbar besungenen blutigen Kuss zu begleiten, wird auch der erratische Hörer zum Anhänger der freien Atonalität. Die hervorragende Sopranistin Magdalena Anna Hoffmann singt inbrünstig und deutlich, mit rasend bewegtem Gefühl. Da zittert und zagt der erratische Hörer mit, als wäre es Puccini; trotz des kruden Textes, eines hysterischen Psychodramas voller Auslassungs-… wie Robert Musils Verwandlungen. Schade, dass Schönberg keine atonale Manon geschrieben hat.
Schönberg prophezeite bekanntlich, in unferner Zukunft werde man seine Melodien auf der Straße pfeifen. In unserer (schon ziemlich fernen) Zukunft gelingt das an diesem Abend nicht, denn unmittelbar nach dem Applaus beginnen die Flöten, sich mit den markanten Figuren aus Nielsens Fünfter warmzuspielen. Man geht schon mit dem Nielsen-Sound in die Pause, mit dem man später das Konzert verlässt.
Eine Aufzeichnung des Konzerts wird am 25.9. auf Deutschlandradio Kultur gesendet.
Weitere Nielsen-Konzerte am 16.9. (Dritte) und 18., 19., 20.9. (Vierte) beim Musikfest in der Philharmonie sowie den ganzen Herbst über in den Nordischen Botschaften.
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