Mittsommerspartanisch: Benjamin Brittens A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM an der Deutschen Oper

Die Feenwelt ist ganz schön gruselig. Und der Wald bei Athen, wo Benjamin Brittens A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM nach Shakespeare spielen soll, arg spartanisch. Zumindest in der Inszenierung von Ted Huffman, die jetzt an der Deutschen Oper Berlin Premiere hatte.

Sommernachtstraum, spartanisch

Bühne und Kostüme der Feen folgen der bewährten loriotschen Farbberatung („wir nehmen das Aschgrau“). Die kindlichen Elfen erinnern ein wenig an die Kinder in dem Film Das Dorf der Verdammten (beware the stare!), die erwachsenen Elfen an die grauen Herren aus Momo.

Aber gut, es soll halt das nächtliche Schattenreich sein. Farben gibt es nur für die Menschen, die irgendwann auftreten. Dennoch, die fast leere Bühne allein durch die Fantasie der Zuschauer als magischen Wald füllen zu lassen, grenzt doch an Arbeitsverweigerung des Regieteams. Zumal die Personenführung auch nicht derart quirlig ist, dass sie den Hohlraum mit dem nötigen Zauber belebte. Der Zwerg Puck etwa (Jami Reid-Quarrell in einer Sprechrolle) ist eine Art One-Trick-Pony, er schwebt immer wieder an zwei Seilen herab und schlägt den stets gleichen Purzelbaum in der Luft, mäßig effektvoll. Es kommt mir eine Exposition zum Schlaf an, wie es in August Wilhelm Schlegels alter Übersetzung heißt, aus dem Mund des Handwerkers Zettel (im Original Bottom).

Spartaner amüsieren sich.

Ein wenig spartanisch scheinen auch Klang und Dramaturgie des Werks an sich, das allerdings sehr wohl seine Reize hat. Britten komponierte es 1959 für die kleine Jubilee Hall in „seinem“ Aldeburgh, für entsprechend schlanke Besetzung. Kurios zu erfahren, dass er und sein Partner Peter Pears auf Shakespeare verfielen, um Zeit zu sparen – weil das ein weithin bekannter fertiger Text ist. Vielleicht keine ganz günstige Voraussetzung, um sich mit Shakespeare auseinanderzusetzen. Den ersten Aufzug schnitten Britten und Pears komplett weg, so dass man direkt in die Feenwelt von Titania und Oberon eintaucht. Mit dem Nebeneffekt allerdings, dass die folgenden Liebeshändel zwischen den sich in den Wald verirrenden Menschen, eine verwickelte Ménage-à-quattre, schwer zu kapieren sind, wenn man nicht den originalen Sommernachtstraum und somit die Vorgeschichte kennt.

Aber in dieser Hinsicht ist ja in der heutigen Welt leicht Abhilfe zu schaffen:

Der Circa-Zwanzigtausend-Plätze-Saal der Deutschen Oper mag also für Brittens feingesponnene Musik zu groß sein. Aber wenn man hinhört und sich vom Husten nicht ärgern lässt, wird man belohnt. Der Dirigent Donald Runnicles ist sonst nicht gerade berüchtigt für allzu leise Töne – hier lässt er nun sachgemäß zarte Klänge sich entfalten, die bald einlullen, bald entzücken. Die Musik (silbrig geprägt von Harfen, Celesta, Cembalo und Vibraphon) ist oft hochgradig charakteristisch: etwa mit den gleichzeitig hinauf und hinabrutschenden Streichern im ersten Akt, die die Atemzüge eines Schlafenden und Träumenden assoziieren lassen. Die Töne der Celesta tropfen mit dem Liebestrank, der auf die Augen der Schlafenden geträufelt wird. Und ganz erlesen sind die Holzbläserklänge, in denen die verliebte Feenkönigin Titania den in einen Esel verwandelten Bottom/Zettel anschmachtet. Überdies liest man in Arne Stollbergs aufschlussreichem Essay im Programmheft Detailliertes über Brittens raffinierte harmonische Strategien; eine Raffinesse, von der man beim Hören nicht das Wie feststellt, wohl aber das Dass.

Die leisen Töne kommen auch einigen feinen, aber kleinen Stimmen sehr zugute: etwa dem Countertenor von James Hall als Oberon und vor allem dem hinreißend lyrischen Sopran von Jeanine De Bique als Helena – die schönste der vier Stimmen im menschlichen Gesangsquartett. Karis Tucker bringt hier als Hermia Blut und Glut ins Spiel, während im Elfenreich Siobhan Stagg als Titania feenhafte Koloraturen beisteuert.

Dennoch ist man immer ganz froh über die erdigen Töne, wenn die chaotischen Handwerker-Schauspieler auftreten, allen voran James Platt mit seinem kernigen Eselsbass als Bottom/Zettel. Diese Handwerker-Combo führt im dritten und letzten (denn so entschieden beschnitten Britten/Pears ihren Shakespeare) ein sehr lustiges Schauspiel auf, bei dem dann auch die Regie endlich etwas von der Spiellust entdeckt, die man in den ersten beiden Akten so vermisst hat. Zwei riesige Puppen kommen als Pyramus und Thisbe zum Einsatz, und Brittens als Intermezzo kurz vor Ultimo reinkomponierte krypto-italienische Oper ist eine überaus spaßige Angelegenheit. (Obwohl auch die Idee merkwürdig ist, im Jahr 1960 noch italienische Oper zu parodieren.) Was dann noch folgt, ist ein zauberhafter Schlussgesang.

Spartanische Landschaft: doch reicher als gedacht

Auch wenn man am Ende also doch noch nicht ganz unbefriedigt bleibt, muss man sagen, dass die allzu karge Reduktion des Stücks zuvor der Britten-Verbreitung in Berlin keinen Gefallen tut. Es gibt auch durchaus gruselige Aspekte des Stücks, mit denen die Regie sich aktiver hätte auseinandersetzen können: die unheimlichen verkappten päderastischen Nuancen etwa, der indische Knabe, um den Titania und Oberon zanken (und mit dem Oberon am Ende des ersten Aktes hinter der Bühne verschwindet). Auch die ewigen Knabenchöre haben vor diesem Hintergrund etwas Unbehagliches. Aber die Regie tut nichts mit unserem Unbehagen, sondern lässt das einfach so stehen.

So fühlt sich der gruselige Sommernachtstraum ein bisschen wie Berliner Trübwinternachtsdämmer an, deprimierend, aber auch harmlos. Und das ist doch schade: Zum einen wegen des Stücks selbst, zum anderen, weil die Deutsche Oper in diesen Wochen all das Lobenswerteste aufführt, was hier in den letzten Jahren (mit unterschiedlichem künstlerischen Erfolg) auf die Beine gestellt wurde. Am kommenden Freitag gibt es zum vorerst letzten Mal die überragende Jenůfa von Leoš Janáček. Die hartnäckigen Bemühungen für Britten sind aller Ehren wert. Und ab Februar gibt es, und das ist vielleicht das Wichtigste gerade in Berlin, einen Giacomo-Meyerbeer-Schwerpunkt.

Und natürlich vier weitere Aufführungen von A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM bis Ende Februar.

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2 Gedanken zu „Mittsommerspartanisch: Benjamin Brittens A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM an der Deutschen Oper

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