Erzliebend: Lang und Meese ödipussen Wagners „Parsifal“ auf den Mond

Keine Peilung, ob dieser Jonathan Meese nun ein Erzkünstler ist oder ein Erzschamloser: sozusagen die Hochkulturvariante der Unverschämtheit-siegt-Strategie, die in der Mittel- und Tiefkultur Myriaden von talentfreien Gestalten in die Prominenz führt (berühmt fürs Berühmtsein) oder einen einzelnen Erzmoronen auch mal ins Weiße Haus. Wahrscheinlich beides: Erzkünstler und Erzschamloser. Das verbindet ihn aber doch mit Richard Wagner, dessen Parsifal Meese nach seiner schnöden Herausbugsierung aus Bayreuth erst in Wien und jetzt im Haus der Berliner Festspiele auf den Mond schießt. Bernhard Lang komponiert das Bühnenweihfestspiel um, auf, drunter und drüber.

Und das alles: aus Totalstliebe zu Richard Wagner.

Denn diese existiere nicht in den Bayreuther Hinterzimmern des Schnarchnasentums und Rudelbumsens, so Meese: Erzliebe, Erzsehnsucht. So erfährt man vorab bei einem Rundgang durchs Festspielhaus. Da Meese ja immer seine Mutter dabeihat, will der Konzertgänger nicht nachstehen und hat seinen Sohnemann mitgebracht. Der ist zwar nach einer vorheriger Meese-Youtube-Sichtung skeptisch. Denn Kunst kommt für ihn von schwer, und er findet: Albernsein ist nicht schwer. Doch dass es Meese nicht ums Albernsein geht, erschließt sich bei der persönlichen Führung schnell, wenn auch sonst nicht viel. Aber doch Erzliebe, Erzsehnsucht. Und es ist viel kurzweiliger als das Theoriebrimborium, mit dem die Berliner Festspiele das Ganze in gewohnter Manier umgeben: Immersion als Grenzbereich zwischen Ausstellung und Aufführung – … präsentieren wir wegweisende künstlerische Positionen und erforschen und befragen Formate, Erzählweisen und Alltagspraktiken, die unser Verhältnis von Aktivität und Passivität neu vermessen. „Es gibt keinen raumschaffenderen Künstler als Jonathan“, sagt Festspiele-Chef Oberender. (Man spricht sich mit Vornamen an wie in der Fußball-Szene.)

Die immersive Überschreitung des Bühnenraums stellt sich konkret dar in der Form einiger Rumpelboxen vulgo Installationen, die Meese überall hingestellt hat, wo gerade Platz war. Vom erschöpften Publikum werden sie in den Pausen der Aufführung weitgehend ignoriert, von ein paar Erzselfies abgesehen. Was schade ist, weil sie viel Spaß machen (wie hier mit hochwertigen Photographien documentiert).

Auch was auf der Bühne geschieht, macht (horribile dictu) Spaß. Ein musikdramatisches Sammelsurium, das man besser nicht in stringente Diskursivität übersetzt. Der Gral wohnt jetzt auf dem Mond, Gurnemanz kommt aus einem Riesenkühlschrank voller Wurst und Schinken, Meeses Mutter schaut aus einem großen Ei zu. Aber die Bühne platzt vor Energie, Krempel, Einfällen und Liebe. Und man beginnt Meeses diesseitigem Credo zu glauben:

Ein Künstler muss immer an dem Ast sägen, auf dem er sitzt, damit er richtig schön fällt. PAR-SI-FALL.

Erzliebevoll ist auch Bernhard Langs ParZeFool-Musik. Der Abend wird dennoch verdammt lang, denn Lang orientiert sich an der Originaldauer des Parsifal. Zum Glück nicht an Aufnahmen von Knappertsbusch oder gar Reginald Goodall, sondern an der zügigen von Pierre Boulez. Manchmal schwächelt der Konzertgänger und denkt (wie Rossini über Wagner): herrliche Momente, endlose Viertelstunden. Dann wünscht er sich, Lang hätte an einem dieser Naxos-Highlight-Verschnitte Maß genommen.

Hat er aber in gewisser Weise auch. Denn Lang konzentriert sich auf wenige Kernsätze des Parsifal (aber nicht die sogenannten Leitmotive!), die er aus der Partitur herausschnipselt und zu Loops aneinanderklebt. Und zwar, dem bei aller Eingängigkeit fordernden Höreindruck nach, höchst komplex. Dadurch entsteht ein doppelter Eindruck: einerseits in wilden Schleifen wild wuchernd, andererseits hochkonzentriert. Es ist ja unendlich viel Wucherwerk weggeschnitten (denn Wagner ist doch genauso ein ausufernder Plapperkünstler wie Meese).

Der zweite Aufzug fetzt am meisten, wie bei Wagner. Nur dass er hier mit einem mitreißenden Solo von Saxofon (Gerald Preinfalk) und Kontrabass (Uli Fussenegger) beginnt. Lang scheint in diesem Mittelakt am stärksten den Parsifal nachzubuchstabieren. Vielleicht weil er am dramatischsten ist. Oder weil im psychoanalytischen Redeschwall zwischen dem reinen Tor und Kundry Kernsätze kaum identifizierbar sind. Und doch, und das ist schon stark, kulminiert und verdichtet sich diese Überschreibung im Mutter-Motiv und in einer zentralen Szene: Parsifal(l)s vulgo ParZeFools a-cappella-Ödipussy-Erzmuttersöhnchen-Monolog Die Wunde! Sie brennt in meinem Herzen! Den Kundry, nun wieder hochmusikdramatisch orchestral begleitet, mit einer fünffachen GOOOOTTHEIT-Anrufung pariert.

Personell ist das alles illüstern, nix mit Avanti Dilettanti. Unglaublich stark sind die Sänger, die das kunstvoll aus sich herausschreien: Dass mit dem bewunderungswürdigen Daniel Gloger ein Countertenor als Parsifal/Parzefool besetzt ist, ist eine erzfrappante Idee von Lang. Glogers Verbindung von virtuoser Stimmführung, archaischem Urschrei und athletischem Dauergehopse würde allein schon den Abend lohnen. Sein keuschgeiles Kostüm aus schwarzen Overknee-Stiefeln, rotem Höschen und Pistolenhalfter wäre auch was für den (kannste dir nich ausdenken) Jonathan-Meese-Shop der ZEIT.

Die erzdramatische Cundry/Kundry von Magdalena Anna Hofmann muss man im selben Atemzug wie Gloger nennen. Weckt schwere Sehnsucht, die nicht überschriebene Kundry von ihr zu hören. Gerne auch in Meeses scharfem Barbarella-Kostüm mit weißen Overknees. Toll, wie sich hier Kundrys beim Küssen bang in Schüsse aus Barbarellas Pistole verwandelt: bang – Bang – BANG!

Auch sonst verdiente Wagnerkehlen dabei. Höchsten Einsatz und stets gute Miene zu welchem Spiel auch immer muss man dem Gurneman(t)z von Wolfgang Bankl bescheinigen, der hier aussieht wie Meese, aber die Fransenhaare abnehmen kann, dem Amf/phortas von Tómas Tómasson, dem Clingsore/Klingsor von Martin Winkler und dem Arnold Schoenberg Chor. Das Klangforum Wien unter Dirigentin Simone Young ist klingende Schelle und tönendes Erz und Erzliebe allzugleich.

Ein wüster, witziger, anstrengender, intensiver Abend. Da haben die Bayreuther Schnarchnasen und Rudelbumser aber was verpasst.

Nochmal am Mittwoch.

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4 Gedanken zu „Erzliebend: Lang und Meese ödipussen Wagners „Parsifal“ auf den Mond

  1. Was ist denn das am Schluss für eine Ausdrucksweise, wenn die lieben Kleinen vom Papa lesen, ich bin entsetzt.
    Den langen Abend wünsche ich schadenfroh von ganzem Herzen, das war die Strafe :-))))

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