Lange, allzu lange nicht bei Christian Tetzlaff gewesen … der trägt ja jetzt einen Zopf! Und der kann ihm nicht erst gestern gewachsen sein. Aber keine Spur von Verzopftheit, wenn das Tetzlaff Quartett im Kammermusiksaal Mozart spielt: das dritte der, aufgrund Vorbild und Widmung, sogenannten Haydn-Quartette, Streichquartett Es-Dur KV 428.
Notwendige Abschweifung:
Mein erstes deutsches Wort war ja Köchelverzeichnis
— Saša Stanišić (@sasa_s) April 14, 2017
Die Wärme der gebrochenen Dreiklänge zu Beginn des Andante con moto, das man fast religioso nennen möchte, treibt einem alle Kälte dieses verfröstelten Frühlings aus den Knochen. Um so verstörender dann die ungreifbare, von Chromatik durchwirkte Harmonik dieses langsamen Satzes. Sowas wird gern (etwa im gefürchteten Reclam-Kammermusikführer und im lesenswerten Programmheft-Text von Wolfgang Stähr) mit dem Tristan assoziiert. Könnte man nicht auch an ein Chopin-Nocturne denken?
Das Tetzlaff Quartett ist in solchen irritierenden Passsagen ganz in seinem Element. Außerhalb dieser Passagen scheint es dem Konzertgänger, dass Christian Tetzlaff manchmal fast zu sehr brilliert, seine drei Mitspielerinnen etwas brav wirken. Könnte namentlich die zweite Geigerin Elisabeth Kufferath, die einen wunderbar subtilen Ton hat, nicht etwas mehr aufmucken? Kann man sich vorstellen, dass der zweite Geiger Wolfgang Amadeus sich am 15. Jänner 1785 beim Kammermusik-Abend in der Domgasse 5 (mit Zuhörer Haydn im Fauteuil) sich gegenüber dem ersten Geiger Leopold so zurücknahm? Ähnlich später bei der Zugabe des Tetzlaff Quartetts: dass die zweite Stimme im Menuett des d-Moll-Quartetts KV 421 sich so aufs Echo reduzierte?
Hier eine etwas ältere Aufzeichnung, Tetzlaff noch auf halbem Weg zum Zopf:
https://youtu.be/JQisLWphyUE
Noch verstörender, völlig aus der Bahn werfend Franz Schuberts letztes Streichquartett Nr. 15 G-Dur D 887. Keine Ländlerwärme, nirgends. Die Tetzlaffs sind im Leisen extremer als im Lauten. Eher jenseitig als endzeitlich und umwerfend trostlos. Höchst beeindruckend die filetierten und flageolettierten Pianissimo-Passagen im ersten Satz, das gottesfern Ätherische, Gläserne, Fahle. Klänge wie aus Kammern, die kilometertief im Inneren der Instrumente liegen. Grandios, wie die erste Geige in höchsten Tremolosphären besteht. Oder das fahle Singen von Tanja Tetzlaffs Cello im zweiten Satz.
Aber bei den jähen Ausbrüchen, dem unerbittlich Motorischen wirkt das Quartett als Ganzes trotz des engagiert antreibenden Primarius seltsam verhalten. Man hört dem sporadisch zusammentretenden Tetzlaff Quartett doch den Unterschied zu einem blind eingespielten Ensemble wie dem Mandelring Quartett ein, das dieses Stück tausendfach erprobt und paradoxerweise dennoch riskanter zu spielen schien.
Zwischen Mozart und Schubert Alban Bergs Streichquartett op. 3 (1910): Der Neutöner klingt, noch ein scheinbares Paradox, am lyrischsten und wärmsten. Gewisse Stellen pusten einen auch orchestral so weg, dass man dem Himmel dankt, dass Berg dieses Quartett nicht für große Besetzung aufgeblasen hat wie Schönberg sein Sextett Verklärte Nacht. Alles wäre futsch! Die subtile Kufferath hier wundervoll, und die Bratsche von Hanna Weinmeister hat einen direkten Klangdraht zu irgendeiner anderen, sehr fernen Welt. Christian Tetzlaff zuckt am heftigsten und strahlt am höchsten. So unterschiedlich können Instrumente klingen, die alle aus derselben Werkstatt stammen – nicht von Stradivari und Guarneri, sondern von Stefan-Peter Greiner, 53115 Bonn. (Nur Tatjana Tetzlaff spielt ein Guadagnini-Cello aus dem 18. Jahrhundert.)