And now for something completely different. In für seinesgleichen enigmatische Klänge wie Jazz, Elektronik oder „Weltmusik“ wagt der Konzertgänger sich leichter, wenn sie sich auf einer Bühne ereignen, von der er schon stundenlang Streichquartette hat tönen hören. Etwa im Kammermusiksaal (wo leider die schöne Reihe Unterwegs mit Roger Willemsen gestorben ist) oder im Radialsystem.
Beim Berliner Andromeda Mega Express Orchestra gibt es alle diese Stile auf einmal. Inklusive Streichquartett, denn der musikalische Kosmos dieses ungewöhnlichen 18köpfigen Avantgarde-Electro-Freejazz-u.v.m.-Ensembles scheint keine Grenzen zu kennen. Sehr schlüssig darum das Projekt What Boundaries?!, in dem das von Daniel Glatzel geleitete AMEO auf Musiker aus Malawi trifft.
Aus dem Norden vonMalawi stammt die Lusubilo Band, hervorgegangen aus einem Musikzentrum in Karonga, einer transkontinentalen koreanisch-malawischen Kooperation. Wow!
Dazu kommen drei Musiker aus Nsanje in Süd-Malawi, die gemeinsam die traditionelle Ulimba spielen, eine Art Marimba mit Resonanzkalebassen, quasi ein riesiges Kürbis-Xylophon:
https://youtu.be/Zn83_EKiBWg?t=22
Nicht nur das Wissen um die Spielweise der Ulimba droht auszusterben, sondern auch die Kenntnis seiner Bauweise, denn in Süd-Malawi werden die Instrumente gemeinsam mit den Musikern begraben oder zum Begräbnis verbrannt.
Das und mehr erfährt man aus dem etwas pomadigen 50minütigen Film (film essay in progress…) von Christoph Rothmeier, der zwischen einem Workshop und dem eigentlichen Konzert im Radialsystem zu sehen ist. Darin erzählt die Cellistin Isabelle Klemt auch von der anfänglichen Idee, drei Stücke von Salvatore Sciarrino und eins von Bizet zu spielen – nicht nacheinander, sondern gleichzeitig und zudem als Grundlage für ein gemeinsames Musizieren mit den Malawiern. Die wiederum sollen durchaus interessant gefunden haben, worauf man in Europa abfährt:
Mit Beginn des Konzerts ist alle Theoretisiererei wie weggeblasen. Nein, eigentlich schon vorher: Da hört man die malawischen Musiker sich hinter dem Bühnenvorhang warmklatschen, -stampfen, -singen. Würde man gern mal bei den Philharmonikern erleben! Der charismatische Chief des Ulimba-Trios lässt dann eine kleine Ansprache übersetzen, die von der lebensverlängernden Wirkung des Musizierens handelt: Als junger Mann kränklich, begann er 1957 die Ulimba zu spielen; und weil er wieder krank wurde, als er aufhörte zu spielen, spielt er bis heute.
Was folgt, ist ein gigantisches Klangereignis, das das Radialsystem fast explodieren und den Hörer vor Glück platzen lässt. Die drei Motoren der Ulimba-Spieler, des AMEO und der Lusubilo Band treiben eine Musik an, die wunderbar organisch wirkt, obwohl oder weil sie sich aus völlig verschiedenen Quellen speist: den leuchtenden Perkussionskaskaden der Ulimba, waghalsigem Free Jazz, knalligem Afro-Pop… und auch Sciarrino ist zu hören im Flirren, Klappe(r)n, Keuchen der Flöten.
Nur das links platzierte Streichquartett und die Harfe haben anfangs, da im Riesensound kaum hörbar, einen schweren Stand. Das ändert sich, als der gewaltige Klangstrom sich im Lauf der Konzerts lichtet und in wechselnde Gruppen teilt. In einer geradezu elysischen Passage verbinden sich die Streicher mit der Ulimba und dem Kontrabass, den Matthias Pichler nun mit einem Schlägel spielt.
Faszinierend, wie die Tonbandaufnahme eines zitherbegleiteten Gesangs von Holzbläsern und Stimmen sanft umhüllt und gefärbt wird. AMEO pur gibt es etwa in Glatzels vor Energie berstender Komposition Harmagedon, mit einer wahrhaft eschatologischen Ekstase von Schlagzeugsolo (Andi Haberl). Die in Malawi wohl ziemlich populäre Lusubilo Band steuert mitsing- und -tanzbare Nummern bei, außerdem haben die Sänger (von denen einer Happy Nyirenda heißt) pilzförmige Flaschenkürbistrompeten dabei. Aus Kalebassen kann man alles machen, von der Trinkflasche übers Penisrohr bis zum Musikinstrument!
Immer wieder spürt man, wie verschieden die musikalischen Temperamente sind, die hier aufeinander treffen. Auch wenn man gelegentlich zarte Momente von Fremdelei unter den Musikern bemerkt, ist es umwerfend zu hören und zu sehen, wie hier Klangwelten ineinander übergehen und übereinander eins werden. Frei nach Béla Bartók: Nur indem man sie kräftigst vermischt, kann man Traditionen retten (und die europäische „Avantgarde“ gleich mit). Vielleicht hat ja Bartók etwas von diesem tollen Konzert gehört, während er sich angesichts des bösen Aufwinds europäischer Reinkulturbewahrer im Grabe wälzt.
Ein Projekt, von dem hoffentlich noch mehr zu hören sein wird.
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was es so alles gibt :-))
War gestern in der Russalka, stimme Ihnen da voll zu. Aber es ist immer wieder eine Qual in der Komischen Oper zu sitzen bzw. zu genießen. Macht absolut keinen Spaß, weil durch die miese Sicht, 17. Reihe einem alles verdorben wird. Freunde saßen im Rang linke Loge 5 in der 6 waren noch in der 2. Reihe Plätze frei, billiger als im Parkett aber viel bessere Sicht
Freut mich, dass Ihnen „Rusalka“ gefallen hat.
Ja, Parkett hinten ist in der KO nicht so dolle, dann lieber Rang – nur nicht direkt vor den ratternden Scheinwerfern. Muss man ein bisschen rumprobieren, dann findet man seine Lieblingsplätze. Auch was die Akustik angeht.
genau, das scheint die Loge 5 oder 6 zu sein, gehe heute am frühen Abend in die Probe zu den Hugenotten