Die Verbindung von sportlichen Großereignissen und klassischer Musik löst beim Konzertgänger normalerweise Panikattacken aus, Bilder und Klänge des Grauens drängen sich auf. Dass es auch anders geht, beweist das Freiburger Barockorchester bei seinem Konzert mit dem schönen Titel Spaß und Sport: Während im Großen Saal der Philharmonie Daniil Trifonov in Rachmaninows 3. Klavierkonzert gewiss einen klaren Sieg durch Hörer-K.o. einfährt, erlebt der Musikfreund im Kammermusiksaal mit Sepp Haydn, Wolfgang Armando Mozart und dem neapolitanischen Kunstturner Tommaso Traetta tönende Athletik in ihrer fröhlichen Form. Quer durch alle Sportarten und Disziplinen.
Joseph Haydns Schauspielmusik Il distratto von 1774 ist als Sinfonie Nr. 60 C-Dur Hob. I:60 gelistet, obwohl sie keine Sinfonie ist – jedenfalls nicht im klassischen Sinn, der erst allmählich verbindlich wurde. Das Publikum hat diese Struktur so verinnerlicht, dass es nach dem 4. Satz, einem rasanten Presto der Art, die bei Haydn scheußlicherweise oft Kehraus genannt wird, ganz logisch klatscht. Aber es folgen noch zwei weitere Sätze. Zunächst ein Adagio di Lamentatione, das Katharina Eickhoff in ihrer sehr lesenswerten Einführung als Apotheose der Unfähigkeit bezeichnet: Zwar findet der Konzertgänger die über Triolenwellen ruhig dahinfließende Melodie der ersten Geige (später auch der Oboe) eigentlich ganz hübsch, aber das Orchester sieht es anders und fährt dem ziellosen Gesang laut in die Parade. Das folgende dramatisch losleiernde Prestissimo, ein zweites Finale, bricht dann nach wenigen Takten ab, weil die Geigen feststellen, dass sie dringend ihre G-Saite wieder hochstimmen müssen…
Zerstreut wie der Protagonist des von Haydn musikalisch untermalten Schauspiels, der Briefe an die falsche Braut schickt und sich einen Knoten ins Taschentuch macht, um nicht die eigene Hochzeit zu vergessen, waren auch die ersten vier Sätze: etwa das Einschlafen der Musik im 1. Satz, aus dem ein heftiges Erwachen folgt. Einige zerstreute Hörer erschrecken auch bei der Wiederholung des Witzes!
Das Freiburger Barockorchester ist so spiel- wie stehstark, links wie rechts. Als ebenso energische wie elegante Mannschaftskapitänin überzeugt die erste Geigerin Lorenza Borrani, die die Einsätze durch beeindruckende Kniebeugen mit hohen Absätzen gibt, ein dirigentisches Bauch-Beine-Po-Programm, das kein Maestro hinbekäme. Die tadellose Haltung, mit der sie gleichzeitig streicht, möchte man allen Geigenschülerinnen dieser Welt anempfehlen.
Überzeugt bei Haydn vor allem die kompakte Teamleistung, kommen im weiteren Verlauf des Abends individuelle Spielstärken zur Geltung. In dieser Einzelwertung ist zunächst die Sopranistin Christine Landshamer zu nennen, die Sonderpunkte für Kleid und Turnschuhe erhält:
Landshamer singt zwei Bravour-Arien von Tommaso Traetta und Wolfgang Amadeus Mozart, beide nach demselben, insgesamt über 70mal vertonten L’Olimpiade-Libretto von Metastasio, in welchem eine Schöne namens Aristea als Goldmedaille fungiert. Landshamer punktet in sämtlichen Auf-, Um- und Abschwungübungen am Koloraturbalken ebenso wie in der emotionalen Kür. Silberstrahlend und eher empört als verzweifelt übers männliche Geschlecht klingt die intensive, mit klaren Linien fesselnde Arie Che non mi disse un dì von Traetta, der angelegentlich seiner 2011 in Berlin aufgeführten Antigona als italienischer Gluck bezeichnet wurde und dessen Sohn 1801 das erste Konservatorium der USA gründete. Sehr lyrisch und hochdifferenziert dagegen Mozarts Rezitativ und Arie Non so donde viene KV 294, in dem Landshamers warmer Sopran, den einen Ohrenblick lang drohenden Absturz souverän vermeidend, in strahlende Höhe aufsteigt.
Wie stark und ausgeglichen der Freiburger Kader besetzt ist, zeigt sich aufs Kurzweiligste in Mozarts Posthornserenade D-Dur KV 320: einem groß besetzten und schon ziemlich vermannheimten Ständchen vom Ende der Salzburger Zeit. Zwar herrscht genregemäß nicht in jedem Moment dieser 40 Minuten die höchste musikalische Ereignisdichte. Aber ginge man sich zwischen den ziemlich symphonischen Rahmensätzen 1 und 7 ein Getränk holen, würde man immer etwas Hörenswertes verpassen: die wunderbaren Holzbläser etwa im Concertante und Rondeau (Flöte Daniela Lieb, Oboe Ann-Kathrin Brüggemann) oder die fahlen Mollabgründe des Andantino, die den Hörer in diesem unterhaltenden Zusammenhang kalt erwischen, ja erschüttern. Und natürlich das Posthorn im 2. Trio des 2. Menuetts, kurz vor Schluss, das Jaroslav Rouček bemerkenswert unflatterig bläst: eine Provokation Mozarts gegen den ungeliebten Erzbischof Colloredo, wie man bei Eickhoff erfährt, denn das Posthorntuten war in Salzburg so verboten wie das Hupen in Wien.
Nicht mal das Mitklatschen, das den Auszug der Musiker zu Mozarts D-Dur-Marsch KV 335 verhunzt, trübt den Konzertgenuss; die freudige Stimmung des Abends entschuldigt selbst diesen Fauxpas des beglückten Publikums.