Normalerweise geht der Konzertgänger kaum je vorzeitig nach Hause, schon gar nicht nach dem ersten Satz. Aber bei dieser Mahler-Dritten: Kaum ist Pan erwacht und der Sommer einmarschiert, marschiert der Konzertgänger raus. (Günstig, dass das Publikum nach dem ersten Satz stürmisch applaudiert, so stört der Konzertabgänger nicht durch Tapsen und Türenknallen.)
Aber der Tagesspiegel-Kritiker schreibt, der erste Satz habe frühlingshaft knospend geklungen, und der Tagesspiegel-Kritiker ist ein ehrenwerter Mann.
Vielleicht klang ja der erste Satz (nach einer vorhergehenden Meditation von Hosokawa, die ansprach, aber als Höröffner nicht recht schlüssig wirkte) wirklich frühlingshaft knospend, dann haben die Ohren des Konzertgängers an diesem Abend Hörschnupfen gehabt. Eine allergische Reaktion. Sie vernahmen einen undifferenzierten Hoch- und Dauerdruck, in dem sich kein einziger Moment von Wärme entfaltete, ein unangenehmes, wenig ausbalanciertes Klangbild. Musik, die nicht atmet, nur niederdrückt wie ein Blockbustersoundtrack in einem Multiplex. Dabei ist das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin so ein grandioses Orchester.
Sehnsucht nach den Aufnahmen von Bernstein und Abbado. (Mehr zu den Aufnahmen. Vom DSO gibts übrigens Einspielungen unter Gielen, Ashkenazy, Nagano.) Andere schwärmten danach von jüngsten Aufführungen unter Haitink und Levine. Nun ja, das sind maßlose Maßstäbe. Und der Dirigent Cornelius Meister, Chefdirigent des ORF-RSO in Wien und bald GMD in Stuttgart, der den nach wie vor kranken neuen DSO-Chef Robin Ticciati ersetzt, mag seinen eigenen Zugriff auf dieses Werk haben, dagegen will man als MdAOK nichts sagen. Meister ist nicht kurzfristig eingesprungen, wird also sein Klangmaß maßstabsgetreu umgesetzt haben.
Und der Tagesspiegel-Kritiker schreibt, das sei ein Himmelsklang gewesen, und der Tagesspiegel-Kritiker ist ein ehrenwerter Mann.
Vielleicht wurde nach dem ersten Satz ja alles ganz anders. Kam Zeit, kam Ruhe, kam Wärme ins Spiel. Farbe, Klangbalance, feine Kunst des Übergangs. Und fast sicher wird der Staats- und Domchor ganz wunderbar gewesen sein.
Kein Verriss also hier. Das wäre maßlos anmaßend, wenn man nur einen Satz gehört hat. Mehr Ausdruck der Empfindung als Verriss.
Ein anderer Kritiker, der immer kuriöslich und in verquerster Sprachgestalt schreibt, fands ein Debakel. Aber der Tagesspiegel-Kritiker schreibt, es sei souverän, betörend, prächtig gewesen, und der Tagesspiegel-Kritiker ist ein ehrenwerter Mann. Und der Jubel wird auch groß gewesen sein.
Diskussion zu diesem Bericht auch bei Facebook:
https://www.facebook.com/hundert11konzertgaenger/posts/1908636722687321
Na ja, da waren Sie aber wohl nicht mir Ihrer Meinung alleine. Ich wunderte mich nach dieser auch etwas
http://www.kultura-extra.de/musik/spezial/konzertkritik_DSO241117.php
Ja, das ist die kuriöslich-verquere (aber nicht schlecht gehörte).