So schlimm wie von einigen Kritikern geschrieben (etwa im Tagesspiegel) findet der Konzertgänger die neue Così fan tutte an der Deutschen Oper Berlin nicht. Zugegeben, dass die Inszenierung von Robert Borgmann eine Menge Nerv-Ingredienzen aus dem Regie-Orkus enthält, vorneweg Theater-im-Theater-Reflexionen: Wenn die Statisterie als Publikum auf der Bühne sitzt, packt den Konzertgänger heftiger Schnarchreiz, bevor nur der erste Ton erklungen ist. Dito bei angehendem Licht im Saal. Auftritt der Sänger inmitten des Publikums. Regieassistentin stapft auf die Bühne, um einer verkleideten Sängerin das Kleid zu wechseln.
Aber was sind das für Kostüme, in die Michael Sontag die Sänger kleidet! Komisch, erotisch, betörend. Hochglanz-Optik vielleicht, egal: Das durchtriebene Hausmädchen Despina etwa erscheint in wunderbaren Verkleidungen, einem Silberzauber mit Aluhut als mesmerisierender Scharlatan, dann in Latex-Jumpsuit (jaja, aus dem Regie-Orkus, trotzdem verdammt sexy), Glitzerkleid, am Ende beides: Latex unter Glitzer.
Es gab ja bereits einige schön kostümierte Inszenierungen in den letzten Jahren. Trotzdem gut, das an der Bismarckstraße zu sehen, wo einem das peinlich berührte Entsetzen beim Anblick der in ein Bettlaken mit Bügelfalte gewickelten Tannhäuser-Venus noch immer in den Knochen steckt. Wunderbar verschmelzen die Kleider mit den archaischen Videogemälden von Lianne van de Laar und dem Bühnenbild, das Borgmann mit mysteriösen Objekten vom Spinett bis zum Ölbohrturm begegenstandet hat. Das ist gewiss keine kohärente Deutung der Oper, reißt aber Assoziationsräume auf, die jeder Zuschauer für sich selbst betreten mag.
Erfreulich ausgeglichen ist das Sänger-Ensemble, zwar ohne Ausreißer nach oben, aber eben auch frei von Ausrutschern. Dem Reiz der symmetrischen Anordnung von Così fan tutte tut das gut, auch die stimmliche Nähe zwischen den Schwestern Fiordiligi (Nicole Car) und Dorabella (Stephanie Lauricella). Ein temperamentvoller, an einigen Stellen fast furchteinflößender Guiglielmo ist John Chest. Nur wenn er einem regiebedingt zwischen den Stuhlreihen direkt ins Gesicht singt, wird man gewahr, dass sein Italienisch nicht astrein ist. Dem Konzertgänger gefiel besonders der Sizilianer Paolo Fanale als Ferrando, kein großer oder geölter Tenor, aber einer, der in gewissen fragilen Momenten den Atem des Hörers stocken lässt.
Wie es sich gehört, harmonieren die falschen Paare Dorabella/Guglielmo und Fiordiligi/Ferrando besser als die richtigen, sowohl stimmlich als auch in der Bühnenpräsenz. Aber die Erotik dieser Kreuzpaarungen ist ohnedies infantil. Animalischer Magnetismus hingegen, was die Bühnenwirkung des einzigen erwachsenen Paares angeht! Noel Bouley ist als Alfonso gerade in seinem Verzicht auf diabolisches Getue eindringlich. Alexandra Hutton konnte wegen Stimmverlust in dieser Aufführung nicht singen, nur mitreißend spielen, und wurde von der kurzfristig eingesprungenen Julie Martin du Theil von der Seite aus solide vertreten. In der Versuchsanordnung von Così fan tutte wirkte diese fetischistische Stimm-Abspaltung interessanterweise gar nicht störend, es mesmerisierte um so heftiger zwischen Alfonso und Despina.
Trotzdem bleibt eine gewisse Skepsis, ob ein Haus von der Dimension der Deutschen Oper überhaupt für Mozart geeignet ist. Die Sänger haben ordentlich zu tun, um durchzudringen; in den Rang sollte man sich nicht setzen, wenn man vernünftig hören will. Allerdings hat man quasi freie Platzwahl, denn bedenklicherweise war diese erst zweite Aufführung so schwach besucht wie die hinterletzte Repertoire-Vorstellung. (Die Statisterie hätte sich ins Publikum mischen sollen statt auf der Bühne zu sitzen.) Weitere Vorteile der lichten Reihen: Man schwitzt weniger und wird nicht so schnell schläfrig.
Das Orchester der Deutschen Oper zeigt schüchterne Ansätze von historisch bewusstem Spiel, relativ vibratoarm, relativ flott. Das ist natürlich HAP oder HIP nur in dem Sinn, in dem die CDU anno 2016 feministisch ist. Aber von romantisch aufgeblähtem Mozart, wie die NMZ behauptet, kann nur die Rede sein, wenn man das Freiburger Barockorchester als Maßstab anlegt. Das befände sich in dem 2000-Plätze-Saal aber in Teufels Küche. Die Rezitative wurden begleitet von Elda Laro an einer Hammerklavier-Kopie der Bamberger Firma J.C. Neupert und der Cellistin Maria Pstrokonska-Mödig, was herrlich schwebend klingt – sofern man nicht zu weit weg sitzt, ansonsten tropfen die Klänge irgendwo in der Weite des Weltalls herum.
Man könnte gegen Donald Runnicles‘ Dirigat einwenden, dass hier etwas Leichtigkeit, dort geschärfte Akzente fehlen, kurz: Witz. Aber das Orchester ist gut und ökonomisch disponiert, stets sängerdienlich. Und vor allem klingt es lyrisch und liebevoll, es gibt dem kalten Experiment Seele, die magischen Momente gerade im zweiten Akt sind alle da.
Kurz, gewiss kein No-Go, nur nah ransetzen sollte man sich. Was immer auch den Vorteil hat, dass man nicht der Versuchung erliegt, die Übertitel zu lesen.
Weitere Kritiken: Schlatz, Berliner Zeitung, Kulturradio, Morgenpost. Außerdem eine kluge Kritik von Jan Brachmann mit großem Runnicles-Lob in der FAZ am 29.9., nicht online.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/symphoniekonzert-an-der-deutschen-oper-lobgesang-des-individuums/14636002.html
Na sehen Sie!
es ist immer wieder schön, Kritiken von Fr. Mahlke zu lesen, egal ob positiv oder negativ
Sehr geehrte Damen und Herren,
habe gerade an den TSP die folgende Mail geschickt. Schuld des TSP oder haben Sie die TSP Kritiker endlich wegen ihrer bescheuerten Kritiken aus dem Haus verbannt
> Sehr geehrte Damen und Herren,
> ich bin sehr verwundert, das in der heutigen Ausgabe keine Konzertkritik über das aussergewöhnliche Konzert am 30.9. in der Deutschen Oper zu finden ist
> mit sehr verwunderten Grüßen
> Uwe Mohrmann
mfg
Uwe Mohrmann
Und, Antwort bekommen? Vergessen Sie nicht, dass die auch auswählen müssen, da fällt manchmal etwas Lohnendes durchs Sieb ?. Konzertkritiken sind ja auch Quotenkiller, seien wir froh, dass die überhaupt noch gedruckt werden. Über die Details muss man manchmal den Mantel des Schweigens breiten…
Haben Sie denn der DO geschrieben? Lob freut immer.
Bisher keine Antwort, aber komischerweise ist in der MOPO Online auch keine zu finden. Ja an die Oper habe ich auch diese Mail geschickt, aber die antworten auch nie. Hatte neulich auch die neue Website gelobt, kam auch keine Antwort. Diese Meir ist eh ne komische Person
http://www.deropernfreund.de/berlin-deutsche-oper-6.html
Nur schade, dass keiner, wirklich keiner die Inszenierung mag… Aber besser als umgekehrt, Augen zumachen und hören geht immer, die Ohren zuhalten und nur schauen wäre in der Oper doof.
ich hoffe für Sie, das Sie das Ereignis heute in der DO erlebt haben
Leider nicht, berichten Sie doch kurz.
Die 3. Mahler in der letzten Saison war ja schon fast nicht zu überbieten. Bin ja, wie Sie wissen, nicht der Konzertkenner, aber was da gestern Abend geleistet wurde, sowohl im Cello Konzert als auch mit der 5. übertraf alles. So ein volles Haus, habe ich bei einem Konzert in der DO noch nie erlebt. Hatte im Laufe der Woche noch die Logen und den ersten Rang geöffnet, war alles voll. Der Beifallssturm war überwältigend, und ich hatte eine Gänsehaut nach der anderen, das Adagio war zum Hinknieen. Na mal sehen, wer in unserer Lieblingszeitung die Kritik geschrieben hat. Wer in meiner Gegenwart noch mal was mieses über Runnicles schreibt, den werde ich…..
danke, aber Parkett gehe ich immer, aber immer so 23. reihe, und wenn frei, gehe ich dann so 14. Reihe
diesen Eindruck hatte ich auch vom Live Stream und werde mir die Aufführung demnächst auch „antun“
Wird Ihnen schon gefallen, Sie sind ja weder Traditionalist noch Mozartdogmatiker. Aber wie gesagt, ins Parkett gehen, Reihe 4 war prima.