Eine Liebeserklärung und ein Lobgesang, kann es ein schöneres Programm geben am Abend eines Tages, der sich trübsinnig weigerte, Frühling zu sein? Einen Tag nach der Uraufführung in München erblickte im Berliner Kammermusiksaal ein neues Werk von Georg Friedrich Haas noch einmal das Kunstlicht der Welt. Haas machte ja zuletzt mit intimen Bekenntnissen (Vorsicht, nicht jugendfreie Bilder) von sich reden, was grenzwertige Reaktionen (Vorsicht, nicht jugendfreie Sprache) hervorrief; aber auch aufschlussreiche Artikel (Vorsicht, Englisch). Jetzt kann man Haas‘ 3 Stücke für Mollena hören, entweder als Liebeserklärung an seine Frau (den unflätigen Gedanken an Richard Strauss‘ musikalische Ehe-Einblicke verdrängend) oder als mikrotonal überbordende Neue Musik, die ihr Klangspektrum aus der natürlichen Obertonreihe ableitet. Am besten aber als beides – oder einfach den waghalsigen Versuch, glückliche Musik zu schreiben (so Haas im Interview mit Nina Jozefowicz).
Und wie klingt das nun? Es ist ein berauschendes, unmittelbar zugängliches Klangerlebnis. Im ersten Stück das Ende der Sehnsucht sind überwältigende Cluster zu hören, der von Denis Comtet einstudierte RIAS Kammerchor schwelgt in Vokalisen auf Sechstel- und sonstigen Zwischentönen; für den Laien unfassbar, dass man das präzise singen kann, aber vermutlich kann es auch kaum ein Chor so gut wie dieser. Trotzdem ziehen sich starke Linien durch diese Klangwolke, so dass eine fast archaisch wirkende Klarheit entsteht. Schließlich lösen sich zwei (Brust-)Stimmen aus dem Cluster, ein Mann und eine Frau – eine so eindringliche wie diskrete Vereinigung im Raum der Wünsche. Im zweiten Stück Harmonie ordnet sich die Musik in drei Etagen, ganz oben und ganz unten die hohen und tiefen Instrumente des hervorragenden Münchener Kammerorchesters unter der Leitung von Alexander Liebreich, im Zentrum die menschlichen Stimmen. Der dritte Satz mit dem kuriosen Titel Hochzeitsmarsch ist eine einzige Beschleunigung, nun nicht mehr mikrotonal, sondern rhythmisch entfesselt: ein riesenhaftes Accelerando, das (wie man liest, nicht hört) auch einen 47/16-Takt durchsaust. Egal welche Farbe dieses Begehren hat, es ist ein eindeutig orgasmischer Sound, körperlich und kosmisch kopulierend. Als kompositorisch total durchkontrollierte Entgrenzung ist es aber auch ein merkwürdiges Erlebnis. Und wenn man die 3 Stücke für Mollena, obwohl bereits am Anfang dieser glücklichen Musik die Nacht fast vergangen ist, in die Tradition der Per-aspera-ad-astra-Werke stellt, ruft wieder einmal das Sternenfinale die größte Skepsis hervor. Freilich ein Eindruck nach einmaligem Hören, der sich vielleicht ändert, wenn man dieses faszinierende Werk hoffentlich bald im Konzertsaal wiederhört.
Bis dahin kann man sich am Radiomitschnitt berauschen:
Georg Friedrich Haas‘ Oper Morgen und Abend, die in wenigen Wochen an der Deutschen Oper Premiere hat, darf man jedenfalls mit Spannung entgegensehen.
Wenn man fürchtet, nach diesem Obertonrausch könnte Mendelssohn etwas dünne klingen, hat man sich geschnitten. Dass auch der Lobgesang op. 52 B-Dur (vulgo Sinfonie Nr. 2) von Felix Mendelssohn Bartholdy berauscht, liegt zunächst einmal an der schlanken Besetzung und dem historischen Instrumentarium, mit denen das Münchener Kammerorchester diesen Preisgesang Gottes und des Buchdrucks angeht: Was mitunter etwas sperrig oder rauh klingt, lässt Holzbläser wie Singstimmen um so leuchtender strahlen. Dann sind es aber auch die fast erotischen Obertöne, die Mendelssohns Verhältnis zum deutschen Protestantismus und der Idee der Bildung hat.
Nach dem mit drei Sätzern sehnsuchtsvoll langen instrumentalen Vorspiel hat der Einsatz des Chors Alles, was Odem hat, lobe den Herrn eine gewaltige Wirkung. Attilio Glaser ist ein so exakter wie klangschöner Tenor, die kurzfristig eingesprungene Sopranistin Julia Sophie Wagner kehrt mit ihrer sinnlichen Stimme die dürstenden und lechzenden Facetten dieser Musik hervor: Die Nacht ist vergangen!, beantwortet sie die fahl bebende Frage des Tenors an den Hüter, ob die Nacht bald hin sei. Der Dirigent Alexander Liebreich verausgabt sich, manchmal beunruhigend nah am hinteren Rand des Podests, das Münchener Kammerorchester spielt nicht nur genau, sondern strahlt mitreißende Freude an dieser Musik aus – beim a cappella einsetzenden Choral Nun danket alle Gott sieht man einen Hornisten sogar leise mitsingen. Man fragt sich, warum dieses Stück im Gegensatz zu durchaus vergleichbaren Kantaten-Symphonie-Zwittern von Berlioz so selten gespielt wird; das Sujet Roméo und Juliette zieht wohl mehr als Protestantismus und Buchdruck. Doch die lange Stille nach dem Schluss spricht für sich, so würde man sich das Berliner Publikum immer wünschen. Wunderbar diese Art von Symphonik, die in der Großen Halle der Klassik verloren ist, im Kammermusiksaal zu hören.
Muss ein aufschlussreiches Konzert gewesen sein. Textlose Vokalmusik ist ja nicht ohne, aber wenn das einer kann, dann vielleicht Haas. Habe allerdings noch keine Vokalwerke von ihm gehört. Der Hochzeitsmarsch – im Video – ist mir auch zu viel Astra. Der religiöse Sound, den ich da höre, scheint mir neu bei Haas zu sein.
ja den Glaser muss man sich merken, hat kürzlich einen überragenden Alfredo gesungen und verschiedene Ensembleleistungen. Aber wenn Sie Ihrer Gattin was gutes tun wollen, unbedingt die ägyptische Helena anhören und sehen. Eine recht gute Inszenierung mit einer überwältigenden musikalischen Leistung, Vinke, Merbeth, Aikin überragend, alle anderen dito, einschl. Orchester u Dirigat. Muss mal sehen, ob ich noch nen Tannhäuser in meinen Terminplan einbauen kann, da singen die beiden auch